Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Sonnenlicht auf; dann tanzte er über die Mauerzinnen und ward ihren Blicken entschwunden. Mellow erhob sich, unverletzt.
Der Wagen stand immer noch vor dem Haus, in dem sie den Blutfleck entdeckt hatten. Doch das Pony fehlte; die leere Deichsel lag im Gras. Was haben sie bloß mit Smod gemacht?, fragte sich Finn voll banger Ahnungen. Ein wütender Schrei, der ihm durch Mark und Bein ging, ließ ihn den Gedanken an das Pony sofort vergessen.
Im Eingang zum Turmhof erschien ein weiterer Gidrog. Er hielt mehrere lange Lederriemen in der Hand, die, das erkannte Finn gleich darauf, Zügel waren.
Er zerrte wütend daran, und nacheinander drängten sich drei Tiere durch den Mauerrahmen. Eines schrie abermals, kreischend und schrill, als es den schwelenden Aschehaufen erblickte. Auch die beiden andern waren unruhig, und sie schlugen ein paarmal heftig mit den Flügeln. Es war klar, dass dies lebende Exemplare der Art waren, von denen eines dort verbrannt worden war.
Die drei Vahits standen nun am Fuß der Treppe, zurückgehalten vom eisernen Griff ihrer Wächter. »Das sind Criargs«, raunte Banavred den beiden jüngeren Vahits zu. »Die Vögel da. Sie klingen, wie sie heißen.«
Die geflügelten Wesen hatten ungemein kräftige Beine, und jetzt sah Finn Klauen, eine jede wenigstens dreimal so lang wie sein eigener Fuß. Das grauweiße Gefieder mit den braunen Flecken darin zuckte, als die Criargs nur widerwillig ihrem Lenker am Aschehaufen und an der Treppe vorbei folgten. Aus der Nähe erkannte Finn entsetzt, von welch kräftigem Wuchs die Tiere wirklich waren: Der gekrümmte Rücken der Criargs ragte wenigstens so weit auf wie die Schulterhöhe der Gidrogs. Die dicken Hälse der Tiere beugten und streckten sich, während sie gingen. Die Köpfe erinnerten an Bussarde, nur waren sie ungleich größer; die gekrümmten Raubvogelschnäbel waren etwa so lang wie der Unterarm eines Menschen. Die Vogelwesen verbreiteten einen unerwartet durchdringenden, widerlichen Geruch, als sie an den drei Vahits vorbeigeführt wurden. Dasjenige, das ihnen am nächsten kam, vollführte eine hackende Bewegung mit dem Kopf in ihre Richtung. Ein enttäuschtes Krächzen entstieg dem aufgerissenen Schlund, als der Criarg von dem vorausgehenden Vogellenker hart am Zügel zurückgerissen wurde.
»Sie tragen Sättel«, flüsterte Mellow, als sie vorüber waren.
Der die Vögel führende Gidrog band sie mit den Zügeln an einen Holm vor einem Steintrog. Dann ging er hinüber zu dem freistehenden Ziehbrunnen. Er warf den hölzernen Eimer mehrfach in die Tiefe und kurbelte Wasser herauf, das er in den Trog nahe der Mauer schüttete. Die Tiere zerrten unruhig an ihren Zügeln und tranken geräuschvoll. Immer wieder schrie eines; und Finn fürchtete, dies könnten die Anzeichen von Hunger sein.
Nachdem er sein Werk verrichtet hatte, kam der Vogellenker zur Treppe und half seinen mit ihren Gefangenen dort wartenden Kumpanen. Begleitet von den stampfenden Schritten ihrer Wärter wurden die Vahits, jeder nunmehr von einem sie weit überragenden Gidrog bewacht, über den Hof gezerrt.
Während sie zu einer Anhöhe im Hof geschubst und gestoßen wurden, hielten sie, so gut sie es vermochten, Ausschau nach Saisárasar. Der dunkelhäutige Mensch aber war nicht zu sehen, auch wenn die Gidrogs auf ihn zu warten schienen.
Im Turmhof gab es eine flache Erhebung, zu der ein halbes Dutzend Stufen hinaufführte. Der obere Bereich lag unter Bäumen und war mit Steinplatten ausgelegt, auf denen hineingehämmerte Muster noch schwach zu erkennen waren. Vor einem breiten Steinsitz mit hoher und breiter Lehne gab es eine freie Fläche, um die herum einfache Bänke aus Turmstein so aufgestellt waren, dass sie der Rundung der niedrigen Mauer folgten. Der Thron selbst stand noch einmal erhöht auf einem Geviert aus Stufen. Einst mochtehier der Herr des Turms seine Ratgeber oder Untergebenen empfangen haben, dachte Finn. Heute schien es der bevorzugte Sitz Saisárasars zu sein; denn kaum hatten sie die Anhöhe betreten, trat er gemessenen Schrittes aus den Schatten zwischen den Bäumen hervor und ließ sich auf dem Thronsitz nieder.
Wortlos musterte er die Vahits einen nach dem anderen, und über mehrere Minuten herrschte bedrückendes Schweigen. Dann streckte er, immer noch stumm, die Hand aus, und jener, der sie aus dem Verlies geholt hatte, reichte seinem Herrn den schwarzen Mantel.
»Also hast du, wie ich sehe, zwischenzeitlich ein paar Freunde gefunden«, sagte der
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