Der Vergessene
Startsignal…
Ich hatte damit gerechnet, dass er sich auf mich stürzen würde, doch das war ein Irrtum. Seine Regeln waren andere, und die bauten auf seiner Kraft auf.
Aus dem Stand sprang er in die Höhe. Schon allein dieser Sprung nach oben war viel wuchtiger und geschmeidiger als der des Amos Atkins.
Kamuel war der Meister. Er war der Schreckensengel, und er war schon einmal vor dem Verderben gerettet worden.
Ich wollte nicht, dass ihm Lilith auch diesmal die rettende Hand entgegenstreckte. Ich wollte ihn vernichten, aber er schwebte plötzlich unter der Decke.
In diesem Fall sah er wirklich aus wie ein Engel ohne Flügel, der sich auf den Weg gemacht hatte. Sein langer Mantel begleitete ihn an den Seiten wie ein auf- und abwehender Schatten. Das Gesicht war nach unten gerichtet. Er wollte mich anschauen, und den Mund hielt er weit offen, den ich als rotes Loch sah.
Die Flamme schoss hervor. Eine sehr lange Zunge, die geradewegs auf meinen Kopf zuhuschte. Ich war schneller, sprang zur Seite, der Feuergruß erwischte mich nicht, tanzte dafür über dem Boden, wo er nicht verlosch. Das Feuer brannte weiter. Und der nächste Flammengruß jagte in meine Richtung.
Kamuel wollte mich einkreisen. Er setzte überall seine Feuer, die ich nicht löschen konnte und auch nicht wollte. Ich ließ mich bewusst einkreisen, während sich Suko in Sicherheit gebracht hatte und mir von außerhalb der Kreise zuschrie: »Bist du denn wahnsinnig, John? Du wirst verbrennen!«
»Nein, lass mich!«
Es war verdammt riskant, was ich tat. Aber nur so kam ich an den Schreckensengel heran. Ich musste ihn einfach überlisten und ihn mit den eigenen Waffen schlagen, wie ich es auch bei Belial, dem Engel der Lügen, getan hatte.
Das Feuer hatte den Kreis geschlossen. Es loderte als mannshohe Wand um mich herum. Für mich gab es keinen Ausweg. Die Flammen hätten mich sofort gepackt, wenn ich in sie hineingesprungen wäre. So blieb ich im Kreis. Auf der Stelle drehte ich mich, den Kopf in den Nacken gelegt, um in die Höhe schauen zu können. Dort schwebte Kamuel über allem.
Er war siegessicher. Er lachte. Er drehte seine Kreise und verlor dabei an Höhe. Für ihn war alles perfekt. Er würde innerhalb des Feuerkreises landen, den er geschaffen hatte. Das war seine Welt, in der er mich vernichten konnte.
Die letzten Meter schwebte er tatsächlich wie ein Engel herab. Er landete genau im Kreis. Sein Gesicht wurde vom Widerschein der Flammen ebenfalls wie das meine erfasst. Es hatte uns beiden ein zuckendes Leben eingehaucht, aber in seinen Zügen sah ich das Dämonische schimmern. Das Feuer strahlte keine Wärme ab. Ich verbrannte nicht und wurde nicht einmal angesengt. Aber ich nahm wahr, wie sich der Kreis immer mehr verengte. Wenn mich die ersten Flammenzungen erreichten, dann war ich verloren.
Das Schwert hatte sich bei Amos Atkins selbständig gemacht. Hier reagierte es nicht. Es lag nur schwer in meiner Hand, und Kamuel verspottete es, denn er wollte wissen, warum ich ihn nicht angriff.
»Weil du mir einfach zu stark bist«, sagte ich, drückte meinen linken Arm ein wenig nach unten und öffnete die Faust, damit das Schwert zu Boden fallen konnte.
Ich hatte es freiwillig aus der Hand gegeben, was Kamuel sehr gefiel.
»Gut, John Sinclair, sehr gut. Du hast eingesehen, dass es dir nichts bringt, wenn du mich mit dieser Waffe angreifst. Das ist gut. Aber bitte nicht um Gnade…-«
»Das will ich auch nicht.« Ich hatte die Antwort sehr laut gesprochen, was ihn wohl irritierte, denn er schaute ruckartig hoch.
Das Abwenden seines Blickes hatte ich für mich genutzt. Bisher war nur vom Schwert die Rede gewesen, doch ich verließ mich jetzt auf eine andere Waffe.
»Was willst du…«
Er sah das Kreuz! Überraschung stahl sich in seine Augen. Er kannte es. Das Kreuz machte ihm nichts aus, ich spürte auch keine Erwärmung, aber beim erstenmal hatte ich es nicht aktiviert. Das tat ich jetzt.
Bevor Kamuel eingreifen konnte, sprach ich schnell die Formel, die ebenfalls einen alttestamentarischen Ursprung hatte.
»Terra pestern teneto - salus hic maneto…«
Es passierte mehreres auf einmal! Das Gesicht der mächtigen Gestalt vor mir wurde plötzlich von einem grellen Licht angestrahlt. Hinein in das Licht drang das Schwert des Salomo. Es war nicht mehr auf dem Boden liegengeblieben, und es rammte seine obere Hälfte in den Körper dieses Schreckensengels hinein. Eine mächtige Kraft hob Kamuel vom Boden ab, und in seinem Rücken
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