Der Vergessene
auch sein Dinner, wie er immer zu sagen pflegte, im Corner ein. Hin und wieder saß auch die eine oder andere Frau bei ihm. Dann lachten und scherzten sie, aber gemeinsam hatten sie das Lokal noch nie verlassen.
Elam war ein bulliger Mann mit wilden, krausen, graublonden Haaren, an die sich ohne Übergang ein Backenbart in der gleichen Farbe anschloss. Er hatte eine Art Kartoffelgesicht mit einer knolligen, leicht nach oben gebogenen Nase und lustigen Augen, die hin und wieder hinter den Gläsern der Brille funkelten. Elam kam ungefähr jeden zweiten Tag. Die Wochenenden verbrachte er bis auf den Sonntag stets hier, aber er war auch oft genug vor Mitternacht verschwunden.
Er betrank sich nie und wusste immer, wann er genug hatte. Solche Gäste waren dem Wirt am liebsten. Beide verstanden sich gut. Elam brauchte nur die Hand zu heben, dann wusste der Wirt Bescheid. Wie auch jetzt. Das kurze Anheben, das Schnicken mit den Fingern, und das frische Bier lief in den Glaskrug. Elam trank immer Guinness, aber er trank es ohne Whisky und nur pur.
Da die Kellnerin Urlaub hatte, bediente der Wirt persönlich. Auf dem Weg zu Elam nahm er noch zwei Bestellungen entgegen und servierte dann.
»Alles okay, Sam?«
Elam nickte. »Ja, schon. Und bei dir, Charlie?«
»Es läuft.«
Elam lachte leise. »Deine Kneipe ist mittlerweile so etwas wie eine Heimat geworden, denke ich. Zumindest für Leute wie mich.«
»Ist doch nicht schlecht - oder?«
»Sicher, Charlie, das ist nicht schlecht. Nicht für dich und auch nicht für uns Gäste.«
Der Wirt schlug seinem Gast auf die Schulter. »Himmel, wie du das sagst! Das hörte sich an, als hättest du dir die Worte richtig abquälen müssen. Geht es dir nicht gut?«
Sam räusperte sich und hielt dabei die Hand vor dem Mund. »Ich weiß nicht, welche Antwort ich dir geben soll, Charlie. Im Prinzip geht es mir gut, aber ich habe in den letzten Tagen immer ein so seltsames Gefühl gehabt, verstehst du?«
»Nein.«
Elam winkte ab. »Ist auch egal. Mir kam es vor, als würde etwas passieren.«
»Mit dir?«
»Schon.«
Charlie wusste nicht, was er noch sagen sollte. Er meinte nur: »Das geht vorbei.«
»Denke ich auch.«
Der Wirt entfernte sich, und Sam blieb allein am Tisch zurück. Er trank einen Schluck vom dunklen Bier, wischte über seine Lippen und griff zu den Zigaretten. Er ließ sich mit dem Anstecken des Stäbchens Zeit, weil seine Blicke dabei durch das Lokal schweiften. Das tat er immer. Es gab eigentlich nie etwas Neues zu sehen, aber auf diese Routine wollte er nicht verzichten. Die meisten Gäste waren ihm bekannt. Es verirrten sich auch nur wenige Neulinge in den Pub. Die meisten wurden zu Stammgästen oder schauten unregelmäßig vorbei.
Er lebte allein. Wie die meisten Gäste hier. Auch natürlich die Frauen.
Es gab zwei oder drei, die Interesse an ihm gefunden hatten, und er hatte das Interesse auch erwidert. Er war dann mit ihnen losgezogen, sie hatten sich gut verstanden, sie waren ins Bett gegangen, aber er hatte von vornherein immer klargestellt, dass er keine längere Beziehung wünschte. Damit hatten sich die Frauen dann auch einverstanden erklärt, und so hatte es nie Probleme gegeben.
Trotzdem fühlte sich Sam Elam nicht wohl, In seinem Innern war einiges durcheinander. Es hing nicht mit dem Wetter zusammen, auch nicht mit seiner Umgebung. Es ging einzig und allein um ihn. Auf ihn kam etwas zu, das er nicht einschätzen konnte. Es hielt sich noch versteckt. Es war unsichtbar, aber es kam immer näher und würde ihn bald erwischen.
Der Gedanke daran putschte ihn auf. Kein Mensch konnte in die Zukunft schauen, zumindest ging er davon aus, aber man hatte schließlich Gefühle, spürte Strömungen, wenn man sensibel war, und eine dieser Strömungen hatte ihn erreicht.
Elam trank wieder. Zog an seiner Zigarette und blies den Rauch hinein in all die anderen Schwaden, die durch das Lokal trieben oder unter der Decke fest hingen.
Eigentlich hatte er vorgehabt, etwas zu essen. Er hatte den Pub hungrig betreten und war dabei sogar ziemlich locker gewesen. Das war jetzt vorbei. Das heißt, schon nach dem ersten Bier hatte ihn dieses Wohlgefühl verlassen. Da war der innere Druck entstanden. So musste er abwarten…
Es würde noch etwas passieren an diesem Abend. Es würde eine Überraschung zumindest für ihn geben, und Elam wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte. Eher nicht, denn er gehörte zu den misstrauischen Menschen auf der Welt.
Immer wenn die
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