Der Vergessene
ihm sogar versprochen, einen großen Auftritt zu haben. Er wollte ihn zu den anderen holen, ihn eingliedern in die Gemeinschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Lilith zu schützen.
Sie sollten die Leibwächter der ersten Hure des Himmels werden. Von der anderen Kraft hatte sich Kamuel verlassen gefühlt. Er hatte ihr mal dienen wollen, war dann von ihnen enttäuscht worden und hatte sich einem anderen zugewandt. Im Prinzip war es Luzifer, ebenfalls ein Engel, der verstoßen worden war.
Und was bin ich? dachte Atkins. Er kam mit seinem Schicksal noch nicht hundertprozentig zurecht. Daran musste er sich gewöhnen. Er wusste nur, dass sein Leben jetzt in anderen Bahnen verlief. An die Vergangenheit hatte er keine Erinnerung mehr. Er war auch nicht in der Lage, den Menschen einen Todeskuss zu geben. Möglicherweise würde er das noch lernen. Es ging eben nicht alles von einem Augenblick zum anderen.
Dass er anders war als die übrigen Menschen, hatte er schon immer gewusst. Keine Vergangenheit, nichts, wo man hätte nachhaken können.
Der Keim steckte in ihm. Er hatte ge- und überlebt, aber es war ihm nicht möglich, sich an die langen, zurückliegenden Zeiten zu erinnern.
Da gab es bei ihm einfach ein Loch, und so musste er akzeptieren, was ihm der Vergessene gesagt hatte. Eine leere Halle umgab ihn wie eine gewaltige Gruft. Sie hatte so gar nichts mit all dem Glamour zu tun, der über den Bildschirm lief. Sie war einfach nur trist und düster. Sie roch nach Staub, sie war so hoch, und die an den Schienen installierten Scheinwerfer unter der Decke schwebten über ihm wie große Glotzaugen.
Amos erhob sich von seinem Platz. Er würde noch einmal seine Runden drehen. Es sollte ein Abschied sein, und er empfand nicht einmal Trauer. Die Zeit für ihn war vorbei. Eine Show würde er noch durchziehen, und er wusste auch, dass sie mit großen Überraschungen gespickt sein würde. Wenn sich Kamuel schon jetzt nicht zeigen wollte, später würde er das tun und seine Zeichen setzen.
Er ging mit langsamen Schritten. Kein Beifall, kein Trampeln oder Pfeifen wie sonst üblich, wenn er auftrat. Um ihn herum lastete Stille.
Es war eine sehr gespannte Ruhe, und sie kam ihm nicht normal vor. Es hatte sich eine ungewöhnliche Spannung darin festgesetzt, über die er nichts sagen konnte. Er wusste nur, dass sie vorhanden war. Eine Aura, die er schon in seiner Wohnung erlebt hatte. Es konnte durchaus sein, dass sich Kamuel in der Nähe aufhielt.
Er hatte nach draußen auf das Gelände gehen wollen. Vor der Tür allerdings zögerte er noch. Etwas hielt ihn zurück, als läge auf seiner Schulter eine unsichtbare Hand. Er drehte sich um.
Da hörte er das Lachen! Kamuel war gekommen. Er stand einfach da und nickte ihm zu. Atkins wusste nicht, welchen Eingang der Schreckensengel genommen hatte, aber er war nicht zu übersehen und grüßte ihn durch ein Hochheben seiner rechten Hand.
Amos wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Lächeln, abwarten, ihn ansprechen…?
Kamuel trat näher. Sein offener Ledermantel schwang hin und her. Er schaute sich dabei um und hatte die Hände lässig in die Taschen seines Mantels geschoben. Dicht vor Atkins blieb er stehen.
»Ist etwas passiert?« fragte Amos.
»Das kann man sagen. Du wirst heute die Show ausfallen lassen müssen. Das weiß ich.«
»Warum?«
»Weil es nicht mehr geht. Jemand ist uns auf der Spur. Zwei Männer und ein Junge. Sie werden nicht aufgeben. Sie werden hier auftauchen, wahrscheinlich hier in der Halle oder auch draußen, ich weiß es nicht genau. Ich möchte nur, dass du Bescheid weißt. Außerdem müssen die Männer getötet werden.«
Atkins schüttelte den Kopf, weil er nicht verstanden hatte. »Wer sind die beiden?«
»Sie stehen nicht auf unserer Seite, obwohl sie es sollten. Einer ist der Sohn des Lichts. Man darf ihn nicht unterschätzen. Er heißt John Sinclair. Der andere ist Suko, sein Freund…«
»Und was ist mit dem Jungen?«
Kamuel lächelte schmal. »Einer, der zu einem meiner Feinde gehört, zu Raniel. Elohim, ein Sohn der großen Lilith, der aber auch den falschen Weg eingeschlagen hat. Man hat ihn mit Kräften versehen, die mir nicht gefallen, und er hat Kontakt zu den beiden Menschen aufgenommen. Ich habe mich leider geirrt, denn ich wusste nicht, dass sie uns schon so dicht auf den Fersen sind. Aber das lässt sich nicht ändern, deshalb müssen wir etwas unternehmen.«
»Ich kenne sie nicht.«
»Das ist auch nicht nötig, denn es
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