Der verhängnisvolle Urlaub
erzählt.«
»Aber begriffen hast du das anscheinend immer noch nicht, was das heißt – daß nämlich der ein Mann ist, mit dem man das nicht machen kann, was dir vorschwebt. Der einzige Fehler, den der hat, ist, daß er kein Anhänger von Fortuna, sondern von Schalke 04 ist. Als Düsseldorfer müßte ihm natürlich die Fortuna höher stehen.«
»Ist gut, Vater, ich sage ja schon nichts mehr«, seufzte Fabrici junior und beendete das Gespräch.
Damals hatte er gerade das siebzehnte Lebensjahr vollendet und ahnen lassen, daß in geschäftlicher Hinsicht einiges in ihm steckte. Knapp sieben Jahre später passierte das erwähnte Schiffsunglück und machte den Jungen zum Vollwaisen und Erben der bescheidenen Fabricischen Hinterlassenschaft. Geschwister, mit denen zu teilen gewesen wäre, hatte er keine.
Was tat der Vierundzwanzigjährige, der er nun war, als erstes? Er heiratete. Das Mädchen, dem dieses Glück widerfuhr, mochte er zwar gern, aber mindestens ebenso wichtig war dabei für ihn, daß er seiner Ehefrau für die ganze Arbeit, die sie von früh bis spät im Geschäft zu leisten hatte, kein Gehalt zahlen mußte. Sie war eine geborene Beckes und wurde von Kindesbeinen an nur ›Mimmi‹ gerufen. Nach zwei Jahren gebar sie ihrem Mann ein Töchterchen namens Karin. Paul Fabrici liebte die Kleine, doch er sah ein Problem darin, daß sich seine Frau nicht nur um das Geschäft, sondern auch um das Kind kümmern mußte.
Mit 36 Jahren besaß Paul Fabrici einen mittleren Supermarkt, der das ganze Viertel versorgte. Der alte Karl Felchens war auf der Strecke geblieben. Der Supermarktinhaber Fabrici spielte die maßgebliche Rolle im Schützenverein. Zudem saß er im Vorstand von Fortuna Düsseldorf, dem ruhmreichen Fußballverein. Als Geschäftsmann war er sozusagen ein großer Hai, der kleinere Fische gefressen hatte und noch fraß. Aber nun ließ er es langsamer angehen, was freilich nicht hieß, daß ihn etwa sein Betrieb nicht mehr interessiert hätte. Doch, doch, in demselben hielt er immer noch das Heft in der Hand, nur ließ er sich nicht mehr von ganztägiger Expansionshektik auffressen, sondern schaltete zwischendurch ab. Das hatte erstaunlicherweise zur Folge, daß er dafür bekannt wurde, ein gemütlicher Mensch zu sein. Ein neuer Paul Fabrici entwickelte sich, der alte geriet in Vergessenheit. Lediglich Leute wie Karl Felchens behielten ihn bis an ihr Grab so in Erinnerung, wie er ursprünglich gewesen war.
Immer gleich blieb sich Paul Fabrici in seinem Banausentum. Mit den Künsten hatte er auch als saturierter Mann nichts im Sinn. Ein Teil der Menschen, die reich werden, lassen sich malen, machen Museen finanzielle Zuwendungen oder rufen irgendeine Stiftung ins Leben. Paul Fabrici richtete sein Augenmerk nach wie vor uneingeschränkt auf Ein- und Verkaufspreise, Devisenkurse, Rentenmärkte usw. Das Unangenehme daran war, daß sich daraus mit den Jahren ein familiärer Dauerkonflikt ergab.
Mimmi Fabrici nämlich, Pauls Gattin, entwickelte sich im Gegensatz zu ihm mit wachsendem Wohlstand zu einer Dame, die ›höher hinaus wollte‹. Sie sprach nur noch hochdeutsch, hielt dazu auch ihren Mann an und litt darunter, wenn dieser, was leider allzu oft vorkam, die peinigendsten Rückfälle in seinen niederrheinischen Dialekt erlitt. Ihrer Tochter Karin gestattete sie so etwas grundsätzlich nicht. Aus dem Geschäft hatte sie sich zurückgezogen, nachdem der Supermarkt begonnen hatte, reibungslos zu laufen. Im Anschluß daran setzte ein anderer Kampf für sie ein – der gegen ihr Gewicht. Sie aß zu gerne Schlagsahne, ruhte sich vom ungewohnten Nichtstun aus und las ihr als literarisch wertvoll empfohlene Romane, die ermüdeten. Sie schlief deshalb immer lange, und das ist nun mal bei Damen nicht gut für die Figur.
Klein-Karin wuchs zu einer Karin und schließlich zu einem außergewöhnlich hübschen jungen Mädchen heran, dessen Position gewissermaßen zwischen der ihrer Mutter und der ihres Vaters lag. Paul Fabrici war, wie gesagt, ein Banause, Mimmi Fabrici das Gegenteil (oder glaubte es zumindest zu sein). Karin Fabrici, die Tochter, schätzte sowohl Kommerz als auch Bildung, übertrieb aber weder in der einen, noch in der anderen Richtung. Sie war ein begehrtes, intelligentes, frisches, natürliches Mädchen, das von ihrem Vater als ganz persönlicher Schatz angesehen wurde. Gerade deshalb störte ihn ein gewisser Punkt an ihr ganz erheblich – sie schrieb ein Wort groß: EMANZIPATION.
Schon mit
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