Der verkaufte Patient
neben dem Wort »Reform« ein zweites Wort gibt, das in Kombination mit Gesundheit bei mir Pickel auslöst: es ist das Wort »Berater«. Einmal dafür sensibilisiert, entdecke ich sie plötzlich
nur noch
, diese hilfreichen, lösungsorientierten, evaluierenden, professionalisierenden, die Qualität sichernden, selbstlosen Berater im Gesundheitswesen: Sie sind oben und unten präsent, auf allen Ebenen, in allen Gremien, in jeder Institution, einfach überall. Berater und Beraterverträge, wohin das Auge blickt, von McKinsey über Bertelsmann bis hin zu kleinen und kleinsten Trittbrettfahrern der allgemeinen Unberatenheit, wobei die größten wahrscheinlich auch die größten Profiteure der beschriebenen Malaise sind. Das epidemische Anschwellen der pathologischen Berateritis ist
das
Kennzeichen der neoliberalen Vermengung von Politik und Wirtschaft und der daraus resultierenden Expertokratie.
Man kann auch sagen: Berater hängen an der Gesundheitspolitik wie die Schmeißfliegen an einem Wasserbüffel. Man soll ja nicht meinen, das machte dem Büffel nichts. Ich bin überzeugt, die Inflation der Berater kostet enorme Kraft. Sie zwingt den Büffel geradezu in die Knie, sprich: Unser Gesundheitswesen, das eines der teuersten weltweit ist, wird schlechter und schlechter, weil es tausendfach ausgesaugt und abgezapft und missbraucht wird. Beratung kostet Geld, immenses Geld – genau das Geld, das wir andernorts so dringend brauchen. Ganz zu schweigen von der Zeit und den Kapazitäten, die Beratung binden und sie der Arbeit am Patienten entziehen.
Wer hat sie gerufen?
Berater ohne Ende. Wer hat sie gerufen? Wer braucht sie? Die Komplexität hat sie gerufen, heißt es. Ich will das nicht glauben. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass es genau umgekehrt ist. Nicht die
Komplexität
war zuerst da, sondern die
Berater
. In vielen Fällen schafften Berater erst die Komplexität, die aufzulösen sie antreten. Berater sind nicht die Lösung, sondern das Problem. Berater sind – sagen wir: in vielen Fällen – schlicht Leute, die am Kranksein mitverdienen wollen. Dazu schaffen sie ein »notwendiges Etwas«, das zu erfinden, zu entwickeln, zu implementieren und nachhaltig zu bedienen nur mit Hilfe ihres überlegenen Wissens möglich ist. Wenn das »Etwas« dann da ist, kann es ganz gewiss niemand anderes bedienen als seine Erfinder – das ist ja Geschäftsprinzip. Edison hat noch Dinge erfunden, die Edison überflüssig machten. Die modernen Erfinder erfinden nur noch die Dinge, die ihre Erfinder weiterbeschäftigen. Ich nenne das mal den
Anti-Edison-Effekt
. Schwätze der dummen Politik mit expertokratischem Geschwurbel den Pseudonutzen einer Gesundheitskarte auf – sie wird sich für den selbstlosenRat umgehend mit Aufträgen bedanken, deren Volumen direkt parallel zur Schwallhöhe des Geschwurbels ist, das du auf Augenhöhe hereinreichst, mit »empirischen Studien« und sonstiger professoraler Schützenhilfe wichtigmachst und mittels eines Powerpoint-Bombardements in die Szenerie hineinsprengst. Das kann man an einer Fülle weiterer Beispiele belegen. Das Ärgerlichste für Ärzte ist dabei sicher das Qualitätssicherungsmanagement.
Klaus Esser ist auch schon da
Erst führt man aufgrund von Beratung komplexe Systeme ein, deren realer Nutzen so stark gegen null geht, wie der bürokratische Aufwand nach oben ausbricht. Dann sagt man den Ärzten: »Na klar, dass ihr das nicht packt! Dafür braucht ihr Software!« – »Wo hernehmen?«, fragen die Ärzte. »Na, kaufen!« Hier ist der Knackpunkt. Die Software kann man beispielsweise von Compugroup erwerben. Womit wir bei Klaus Esser wären, einem Menschen, der bei Mannesmann schon für seinen guten Rat sehr teuer war. Nun witterte er wohl ein neues Geschäft. Esser, der sich mit der »Heuschrecke« General Atlantic Partners (GAP) an der Firma Compugroup, einem Hersteller von Abrechnungssystemen für Ärzte, beteiligt – Esser ist stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat von Compugroup – sieht nach Aussage der
Ärzte Zeitung
den IT-Markt für Ärzte und Zahnärzte bei rund 630 Millionen Euro, 200 Millionen Euro allein für Software. Compugroup hat die Software für den Quatsch, den die Ärzte nicht brauchen, aber brauchen müssen – durch Druck von oben. Siehe da – die Software ist so teuer, dass Ärzte sie nicht bezahlen können. Schon kommt ein netter Berater, nämlich Compugroup-Chef Frank Gotthardt, und bietet »elektronische Vernetzung« an. Wieder ein
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