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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Bein von außen in der Praxis! Gotthardt holt sogar ein bisschen den Knüppel heraus. Krankenkassen und Gesundheitspolitikerseien da in der Pflicht: »Statt nur die Technik zu fordern, muss die Politik endlich Anreize schaffen, die Technik auch einzusetzen.«
Paralyse durch Beratung
     
    Dass Beratung nicht der Heilsweg schlechthin ist, ja dass Beratung einen paradoxen Effekt haben kann, mache man sich an einem simplen Beipiel klar: Sollten Sie zufällig einem Lungenspezialisten über den Weg laufen, könnte sich folgendes Gespräch abspielen:
»Wie atmen Sie eigentlich?«
– »Ganz normal!« – »Was heißt ›ganz normal‹? Haben Sie sich noch nie gefragt, wie das eigentlich funktioniert: Atmen!?« – »Ehrlich gesagt: noch nicht …« – »Sollten Sie aber, mein Lieber! Stellen Sie sich einmal vor, die Atmung setzt aus!« Sie erschrecken zutiefst und denken nach: »Mein Gott, ja – wenn die Atmung einmal aussetzen würde, und ich merke es nicht!« Wenn Sie nicht sofort das Gespräch abbrechen, besitzen Sie am kommenden Tag ein Buch »Atmen, aber richtig!«, Sie besuchen eine Atemschule, und Sie nutzen einen Atemfrequenzmesser. Das Atmen fällt Ihnen schwer, und Sie sagen sich: »Wie konnte ich ohne all dies auch nur einen einzigen Atemzug machen!« Und so geht es Ihnen, wenn Sie einem Orthopäden über den Weg laufen, der Sie fragt:
»Wie gehen Sie überhaupt?«
Am nächsten Tag … Was hat diese kleine Satire mit der Politik zu tun? Sehr viel. Sie ereignet sich täglich an der Nahtstelle von Politik und Beratung.
    Politik wird in aller Regel von Laien betrieben, denen Experten (mit kommerziellem Background) die Welt erklären – und zwar immer mit dem Gestus: »Wissen Sie eigentlich, was Sie da tun?« Wer weiß schon, was er im Letzten tut? Der Berater muss nur sagen: »Ich will es Ihnen erklären, aber es ist komplexer, als Sie denken!« Das führt dazu, dass der Politiker erst recht nichts versteht von der Sache, die er steuern, vondemProblem, das er lösen soll. Jetzt muss der Berater dem Politiker nur noch suggerieren, hier sei die Kunst des Delegierens gefragt – denn wozu haben leitende Menschen denn ihre Experten? Und schon darf der eine den Arbeitsmarkt, der Nächste die Bildung, der Übernächste die Rente und der Überübernächste die Gesundheit sanieren. Unter dem Deckmantel des Expertentums gestaltet die Lobby sich die Welt. Und die Politik schwebt über dem Geflecht. Sie hat keine echte Gestaltungsmacht mehr. Sie ist paralysiert durch Beratung.
    Was ist ein Experte? Manchmal denke ich: ein von der Politik honorierter Lobbyist.
Alle Wege führen nach Gütersloh
     
    Dass all die Fadenenden, die in diesem Buch an den unterschiedlichsten Ecken ausgelegt wurden, einmal zur Bertelsmann-Stiftung hinführen würden, ahnte ich noch nicht, als ich von der bereits erwähnten amerikanisch-deutschen Fachtagung »Die Richtung stimmt: Populationsorientierte Integrierte Versorgung« (11.–12. Januar 2007) las. Ausrichter: Die Bertelsmann-Stiftung, Frau Dr. Brigitte Mohn. Schirmherrin: Bundesministerium für Gesundheit, Ulla Schmidt. Gast: Kaiser Permanente. Heute würde ich sagen: Da stand das Trio Infernal der deutschen Gesundheitspolitik beieinander.
    Mir war zwar aufgefallen, dass Brigitte Mohn – wie Karl Lauterbach – im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG saß; ich hatte den Umstand auch als seltsam empfunden (»Bertelsmann? Die verkaufen doch Bücher – oder was?«), aber die Alarmglocken gingen bei mir erst an, als ich den Namen Bertelsmann auch im Zusammenhang mit einträglichen Geschäften rund um die unsägliche E-Card (»Gesundheitskarte«) entdeckte. Auf besagter Tagung meinte Frau Mohn: »Zwar ist das deutsche Gesundheitswesen in Sachen Integrierter Versorgung auf dem richtigen Weg. Dennoch brauchen wir ständig neueIdeen und Modelle, um die bestehende Fragmentierung der Versorgung und der Finanzierung zu überwinden.«
    Solche Sätze darf man in fortgeschrittenem Stadium einer Recherche nicht lesen, ohne sofort ein den Blutdruck senkendes Präparat zur Hand zu haben. Jetzt wurde es interessant. Ich führte ein paar Telefonate, ließ mir Unterlagen kommen, sprach mit Experten. Und plötzlich wurde mir klar, von wo aus die Idee der Integrierten Versorgung promotet wurde. Sie werden lachen: nicht von Berlin aus – sondern von Gütersloh! Gütersloh ist zwar ein fast so verschlafener Ort wie Tostedt oder Buxtehude – nur nicht so reizvoll. Doch dort ist der
Think-Tank
zu Hause, der den

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