Der verkaufte Patient
Know-how der Veränderung »gemeinnützig« bereitstellt.
Wer diese Zusammenhänge im Hinterkopf hat, versteht all die vermeintlich irrationalen Prozesse, mit denen gerade das deutsche Gesundheitssystem von den Füßen auf den Kopf gestellt wird. Ich lehne diesen Typ Beratung ab, weil er nicht die Lösung, sondern das Problem ist. Beratung dieser Art kann überall ansetzen, wo nur irgendwo etwas gesellschaftlich oder körperschaftlich verfasst ist – nach dem bekannten Ärzteprinzip: »Sie sind gesund? Warten Sie mal ab, bis ich Sie untersucht habe!«
Man schlage nur das Telefonbuch unter einem x-beliebigen Buchstaben auf – nehmen wir zum Beispiel »K«: Kaninchenzüchter, Kegelclubs, Kassenärztliche Vereinigungen, katholische Kirche, Kinobetreiber, Korpsstudenten, was auch immer. Es ist völlig egal. Ideologien sind universal einsetzbar, oder es sind keine Ideologien. Man könnte auch »B« hernehmen – wie Bäder, Bahn, Bildung, Bundesregierung. Alle diese Einrichtungen sind denkbare Objekte, die Beratung brauchen. Alle diese Einrichtungen haben kleine oder größere Problemchen, und Sie bekommen richtig fette Probleme, wenn die Bertelsmann-Stiftung mit unschuldigem Augenaufschlag fragt: »Sie haben ein Problem? Wir können Ihnen helfen, dieses Problem zu verstehen.«
Schon wird man überschüttet mit einem systemisch zusammenhängenden Vokabular aus Management und BWL light und erstarrt vor Ehrfurcht: »Haben Sie schon einmal an Qualitätssicherung gedacht? … Nein, ja dann wundert mich gar nichts! … Gibt es bei Ihnen irgendeine Form von Effizienz-Analyse? … Sind Ihnen eigentlich Ihre Prozesse transparent? … Arbeiten Sie schon wissensbasiert oder einfach nur so? … Kennen Sie eigentlich Ihre Zielgruppe? … Wissen Sie, warum Ihnen die Kosten davonlaufen? … Benchmarking betreiben Sie auch nicht? … Sie wissen nicht einmal, wo Ihre Ressourcen liegen? … ›Best practice‹ – diesen Begriff kennen Sie nicht? … Dann wundert mich nichts.« Schon greift man sich an die Herzgegend. Ja wirklich, dieses Pochen! Sie küssen dem gemeinnützigen Berater die Füße und flehen ihn an, er möge Ihnen doch bitte in dieser existenziellen Bedrohung ein bisschen beratend zur Seite stehen. »Na klar, wir haben übrigens zu diesem Komplex auch eine Monitoring-Studie erstellt …« – »Nein?« – »Doch! Wollen Sie sich die Powerpoint-Präsentation ansehen?« Und schon sind Sie am Tropf. Ich schlage die Page mit dem Logo der »Gesundheitskasse« auf – und was springt mir ins Auge? »arvato unterstützt die AOK bei ihrer Gesundheitsförderung und der Positionierung imKrankenkassenmarkt.« War nicht die AOK die Kasse, die vor wenigen Jahren zum Gegenstand heftiger parlamentarischer Auseinandersetzungen wurde, weil ca. 50 Millionen Euro für »Unternehmensberatung« im Nirwana verschwunden waren. Ein Schelm, wer Böses denkt!
Neusprech sabotieren!
Wo immer Ideologien raumgreifend operieren, besetzen sie zuerst die Wörter. Diesen Nachweis hat Theodor W. Adorno mustergültig in seinem legendären Buch »Jargon der Eigentlichkeit« für das Nazi-Regime geführt. Er listet darin all die scheinbar harmlosen Vokabeln des Totalitarismus auf, die als »signalhaft einschnappende Wendungen« wirkten – man musste sie nur verwenden, schon gehörte man zur braunen Community. Der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger hat dann in »Aus dem Wörterbuch des Unmenschen« (1957) 29 weiterwirkende Wörter brauner Färbung zusammengestellt und ihre wahre Funktion im Sinn totalitärer Eingemeindung, Beeinflussung und Gleichschaltung definiert. Ich zähle sie auf:
Anliegen, Ausrichtung, Betreuung, charakterlich, durchführen, echt, einmalig, Einsatz, Frauenarbeit, Gestaltung, herausstellen, intellektuell, Kulturschaffende, Lager, leistungsmäßig, Mädel, Menschenbehandlung, organisieren, Problem, Propaganda, querschießen, Raum, Schulung, Sektor, tragbar, untragbar, Vertreter, wissen um, Zeitgeschehen
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Es wäre einmal eine nützliche wissenschaftliche Arbeit, den stringenten, propagandistischen Neusprech der Bertelsmannianer unter die Lupe zu nehmen. Die Hamburger Allgemeinmedizinerin Dr. Silke Lüder hat einige »key words« dieses neoliberalen Dialekts zusammengestellt und darin gewissermaßen Vorarbeiten zu einem neuen »Wörterbuch der Unmenschen« geleistet. Sie nennt: »Wettbewerb, Qualität, Effizienz, Effektivität, Transparenz, e-democracy, der selbstbestimmte Patient, die Exzellenz-Universität,
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