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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Versicherte gehören dem Unternehmen an, weiter sind da: 156 000 Angestellte 13 000 Ärzte, 37 eigene Krankenhäuser, 431 eigene Praxishäuser (MVZ). Kaiser Permanente näher vorzustellen muss man sich nicht die Mühe machen, das übernehmen die »Gesundheitspolitischen Informationen« des »Bundesministeriums für Gesundheit«. Unter der Überschrift »Gesundheit aus einer Hand« heißt es da: »Vorbild auf diesem Gebiet ist das amerikanische Nonprofit-Unternehmen Kaiser Permanente mit Sitz in Oakland/Kalifornien, das Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt besuchte. Kaiser Permanente umfasst nicht nur Versicherung, Gesundheitszentren und Krankenhäuser, sondern besitzt auch eigene Apotheken, Reha- undForschungseinrichtungen und bietet seinen Versicherten damit eine Rundumversorgung. Für jedes Mitglied berechnet Kaiser im Voraus eine Kopfpauschale, mit der die Versorger dann auskommen müssen, egal wie oft und intensiv ein Patient behandelt wird. Großen Wert legt Kaiser auf Prävention, gute Nachsorge und eine enge Einbindung der Patienten in ihren Behandlungsprozess.« Kopfpauschale! Was der Text verschweigt, ist gerade die Folge dieses Systems. Amerikanische Ärzte einer bestimmten (angestellten) Sorte sind nämlich Weltmeister in der Kunst der
Nichtbehandlung wegen Kopfpauschale
, in der Kunst nämlich, dem Patienten zu erklären, warum eine bestimmte Erkrankung nun gerade nicht unter die Kopfpauschale fällt: »The less care they give them, the more money they make.« Und auch der Rest kommt einem seltsam bekannt vor. Wenn Sie in diesem Augenblick den Eindruck haben, Ihnen würde gerade die Vision vorgestellt werden für das, was in Deutschland unter dem Stichwort »Integrierte Versorgung« angestrebt wird, liegen Sie wahrscheinlich gar nicht einmal so falsch. Um diesen »Traum« Ulla Schmidts zu erden, muss man »Sicko« gesehen haben.
    Gewiss ist der Versicherte – wenn man denn zu den Glücklichen gehört – rundum versorgt bei seinem »Unternehmen«. Kaiser Permanente und andere vergleichbare Unternehmen haben freilich ein wirksames Instrument der Kundenausforschung installiert, mit dem sie bereits über ihre Callcenter im Vorhinein die Leute aussieben, die »Risiko« sind und die sie in ihrem System nicht haben wollen. Durch eine spezielle Fragetechnik werden die Leute mit bestimmten Krankheiten identifiziert und abgelehnt, also gar nicht aufgenommen. Eine junge Frau – Michael Moore stellt sie uns vor –, die in einem solchen Callcenter gearbeitet hat, erklärt, dass sie mit dieser Liste, welche Krankheiten abgelehnt werden, ihr Haus umwickeln könnte.
    Niemals werde ich vergessen, wie ich zum ersten Mal die nachfolgende Sequenz in Michael Moores Film sah. Dokumentiertist, wie eine Mutter mit ihrem 4-jährigen Kind, das hohes Fieber hat, in ihrem Auto ins nächstgelegene Krankenhaus fährt. Das 4-jährige Mädchen ist bereits bewusstlos. An der Pforte wird beim Versicherungsunternehmen die Kostenübernahme abgefragt. Die Versicherung, bei der Mutter und Kind versichert sind, sagt nein. Die Mutter bettelt um Hilfe für ihr Kind. Man sagt ihr, sie müsse sich an die hauseigene Klinik ihrer Versicherung wenden, und weist sie ab. Sie trägt ihr Kind ins Auto und fährt viele Meilen bis zu dieser Klinik. Dort wird nur noch der Tod der 4-jährigen Michelle festgestellt. Die Versicherung der kleinen Michelle hieß übrigens Kaiser Permanente. Der Tod von Michelle wurde in der hauseigenen Klinik festgestellt! Solche Geschichten brennen sich bei mir im Gedächtnis fest. Diese Geschichte ist für mich keine Panne in einer weit entfernten amerikanischen Vergangenheit. Sie ist ein Paradigma für das, was auf uns zukommt: die
Integrierte Versorgung
. Eines Tages, wenn alles dem Geld gehört, wenn wir uns an irgendein Unternehmen verkauft haben, das »alles aus einer Hand« bietet – dann wird es wieder eine Michelle geben, die zufällig an der falschen Krankenhauspforte um Hilfe bittet. Wegen Michelle werde ich das Konzept der Integrierten Versorgung und der radikalen Privatisierung unseres Gesundheitswesens bekämpfen, und zwar mit allen Mitteln, die mir zu Gebote stehen.
    Noch mehr Geschichten aus dem schönen neuen Amerika von Edgar Kaiser gefällig? Ein Obdachlosenasyl in den USA bezeugt Fälle von Patienten, die blutig am Rinnstein abgeladen wurden, teilweise noch im OP-Hemd. »Sicko« zeigt es: Im Asyl liegt eine Frau mit Rippenbrüchen, einer nicht verheilten Naht über dem Kopf und sonstigen

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