Der verkaufte Patient
Best-Practice-Systeme, Benchmarking, effizienter Ressourcenverbrauch, Nachhaltigkeit, Kundenstatus des Patienten, Dienstleisterrolle der Ärzte …« Vergessen hat sie mein Lieblingswort
Integrierte Versorgung
. Silke Lüders spricht von »Orwellschen Neusprech-Vokabeln«. Bitte, Silke Lüder, leisten Sie diese Arbeit! Machen Sie eine noch viel umfänglichere Liste. Schreiben Sie hinter jedes Wort, was eigentlich gemeint ist.
Was kann man dagegen tun? Ich hoffe, es ist eine erlaubte Form von Industriesabotage, wenn ich alle meine Leser auffordere: Seien Sie aufs äußerste misstrauisch, wenn Sie in Dinge hineingezogen werden sollen, die auf Neusprech basieren! Sabotieren Sie, soweit und wo immer Sie können, diese Wörter! Unterbrechen Sie Reden! Lassen Sie keine Sätze zu, in denen Sie mit Neusprech überfahren, manipuliert, auf Linie gebracht werden sollen. Hinterfragen Sie jede Äußerung, in denen der neoliberale Jargon voraussetzungslos angewandt wird.
Denken Sie immer daran, jedes Wort, das Sie durch Kritik aus dem System herausbrechen, schwächt den totalitären Durchgriff in der
Sache
, nicht bloß in der
Rede
. Die Gewalt, mit der beispielsweise das tarnende Wortmodul
Integrierte Versorgung
gegen den erklärten Willen des überwiegenden Teils der Betroffenen durchgesetzt, weil in den allgemeinen Sprachgebrauch überführt wurde, galt nicht der Einführung eines Wortes, sondern der Durchsetzung einer Wirklichkeit, die man nicht beim richtigen Namen nennen durfte, wollte man nicht Gefahr laufen, gelyncht zu werden.
Wörter zu sabotieren kann nur der erste Schritt sein. Ich möchte nicht die Wörter weghaben. Ich möchte die Wirklichkeit verändert wissen. Der entscheidende Schlüssel dazu ist, dass externe Einflußnahmen konsequent verhindert werden und das Parlament wieder wird, was es sein könnte, wäre es nicht durchsetzt von Beeinflussten und Abhängigen (um noch milde Wörter zu gebrauchen). Aber das lässt sich ja ändern.
Wie Bertelsmann auf den Schoß kam
Wie kam es aber, dass Bertelsmann nach Berlin kam und seither quasi von ganz oben als unbedingt zu nutzende reformerische Hilfestellung bis ganz unten durchgereicht wird? Zunächst muss man sich den medialen Einfluss dieses Megakonzerns vor Augen halten. Politisch handelnde Kräfte überlegen es sich dreimal, freundliche Hilfsangebote reichweitenstarker medialer Supermächte auszuschlagen. Die Quote von RTL schlägt auf diese Weise bis in den Kanzlerbungalow durch. Die Stunde der Bertelsmann-Stiftung kam schon während der rot-grünen Koalition, wo die Frontstellung gegen Springer wohl eine Allianz mit Bertelsmann begünstigte. Die Entwicklung der Agenda 2010 verrät deutlich den Beitrag des Gütersloher Think-Tanks, der sich rasch in den verschiedensten Politikfeldern unentbehrlich macht, besonders solchen, bei denen »wählertechnisch« gesehen kein Blumentopf zu gewinnen ist. Aufgrund des Schuldenproblems, der wirtschaftlichen Stagnation und der demographischen Katastrophe boten sich genug Politikfelder an, die man gerne an »Experten« delegierte, um nicht selbst mit
bad news
im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen.
Der Rat der Berater folgte in aller Regel zwei leitenden Prinzipien. Erstens, er implantierte die neoliberalen Politikmuster (Schulterschluss mit der Wirtschaft! Privatisieren! Professionalisieren!), und er befolgte zweitens den
Anti-Edison-Effekt
, wonach die Lösung eines Beraters immer so gut ist, wie sie den Berater zum nachhaltigen Co-Nutznießer der Beratung macht. Unter diesem Einfluss zog sich die Politik Schritt für Schritt als Finanzier auch aus dem »Sozialwesen« zurück, nicht ohne eisenharte Stärke bei der »Moderation« – also der Durchsetzung der neoliberalen Lösungsansätze – zu beweisen. Privatisierung bedeutete Geld für die marode Staatskasse, freilich zu einem doppelten, bitteren Preis: erstens dem der mittel-und langfristigen Schwächung des Staatesselbst und zweitens dem hoher Reibungsverluste in der notwendigerweise undemokratischen Durchsetzung des freien Marktes bei den Bürgern. Silke Lüder: »Mit sich selbst überschlagenden Regelungsmechanismen im Vordergrund sorgt der moderierende Staat, dass der Laden auch so läuft, wie die profitorientierten Hintergrundakteure (Lobbyisten) sich das wünschen.« Der Durchmarsch der börsennotierten Unternehmen im Gesundheitsbereich ist anders nicht zu erklären.
Die schwarz-rote Bundesregierung wechselte nicht nur die Gesundheitsministerin nicht aus,
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