Der verkaufte Patient
sie wechselte auch den Think-Tank nicht aus, ja Angela Merkel wird sogar eine besondere Nähe zu den Mohns nachgesagt. Was Ulla Schmidt betrifft, so könnte man meinen, sie setze 1 : 1 die Weisungen der Gütersloher Stiftung um. Ihre Politik liest sich in Plänen wie Fakten wie ein Kommentar zur jüngsten, aus 2007 stammenden Bertelsmann-Gesundheitsstudie, die den Titel »Unser Gesundheitswesen braucht Qualitätstransparenz« trägt. Von den Mitorganisatoren des Verhaus an gegenwärtiger Komplexität – Silke Lüder: »Ärzte sind keine Ärzte mehr, sondern Codierer für Bürokratiewahnsinn« – wird dem Gesundheitswesen vorgehalten, es mangle ihm an Transparenz, und seine Abläufe seien nicht optimiert. Man müsse erst einmal alles messen und die Daten erheben. Es müsse sodann unbedingt ein flächendeckendes Qualitätsmanagement durchgesetzt werden (wobei man es sich nicht erspart, auf das bei Bertelsmann entwickelte QM-Systen EPA hinzuweisen, etwas anderes würde gar nicht den notwendigen Standards genügen). Man könne das ja belohnen, wenn die Leistungserbringer (wie im Restaurant) Qualitätssterne erringen würden.
Wie man alles ins Laufen bringt
Das alles ist für mich eine einzige Farce: Man nimmt dem Läufer die Schuhe weg, analysiert dann seine Laufergebnisse (»Zu langsam!«) und verordnet ihm schließlich eine Lösung (»Schuhe braucht der Mann, am besten die von uns!«). In Wahrheit sind Studien dieser Art eine gigantische Augenwischerei, die ein Pseudointeresse an der Verbesserung der ärztlichen Arbeit markieren sollen. In Wahrheit geht es um die Umlenkung von »Kapital« und »Patienten« (die in gewisser Weise die Ware sind, die verschoben wird) und »Daten«. Die Daten- und Patientenströme sollen umgelenkt werden. In den Praxen der freien, niedergelassenen Ärzte landen sie aus dem Blickwinkel des Kapitals nämlich in wirtschaftlich toten Seitenarmen. Indem sie beispielsweise zum Hausarzt gehen, entziehen sich Patienten dem Markt. Sie stehen zu weiterer Ausplünderung nicht zur Verfügung. Deshalb muss man diesen »toten Seitenarm« zuschütten, sprich, man muss die Ärzte kalt enteignen, um ihren Job marktkonform und wertschöpfungsoffen neu zu etablieren – womit wir beim MVZ wären. Und bei den Kliniken. Und bei der
Rhön-Klinikum AG
, in deren Aufsichtsrat Frau Dr. Brigitte Mohn bezeichnenderweise Sitz und Stimme hat. Neben Herrn Lauterbach.
Und wer noch fragt, was Bertelsmann – wohlgemerkt der Konzern und nicht die Stiftung (!) – von dem gemeinnützigen Unfug hat, den seine Stiftung anrichtet, der sei nur auf die Firma arvato verwiesen. Die Bertelsmann-Tochter erhielt nämlich 2007 den Zuschlag für ein sattes Geschäft: die Digitalisierung der Fotos von 17 Millionen AOK-Versicherten für die neue E-Card (»Gesundheitskarte«).
Unter den zahlreichen Angaben zu »Entgeltliche(n) Tätigkeiten neben dem Mandat« der Stufe 3 (will sagen: 7000 Euro – unendlich) des Abgeordneten Dr. Lauterbach taucht übrigens auch zweimal der Name AOK auf. Aber das muss nichts besagen.
KAPITEL 15
Ausverkauf – oder: Mit wehenden Fahnen in die Konzernokratie
L eider sind gegen Ende dieses Buches keine Beruhigungspillen zu verteilen: Das gesundheitspolitische Versagen quer über die Parteigrenzen hinweg ist kein rabenschwarzer Blackout einiger »Macher«, die ihr Metier nicht in den Griff bekamen. Die staatliche Beihilfe beim Betrug des Bürgers um seine Gesundheitsversorgung ist leider nur Teil eines größeren, von langer Hand geplanten Coups, der im Effekt den fundamentalen Umbau unseres freiheitlichen, von sozialer Verantwortung getragenen Staates bedeutet.
Es geht um eine grundrechtsvergessene »Revolution von oben«. Sie wird dazu führen, dass wir in wenigen Jahren unser Land nicht mehr wiedererkennen werden. Unter Mitwirkung der Regierenden werden die Bürger um Gesundheit, Rente, Bildung und Eigentum gebracht. In Windeseile mutiert unser Land von einem Staat in sozialer Verantwortung in einen Sozialdarwinismusstaat und von der Demokratie in die
Konzernokratie
. Sollte es das Wort noch nicht geben – bitte ab jetzt!
Das Elend unserer Demokratie ist eine Klasse von Politikern, für die ich mir einen eigenen Namen ausgedacht habe. Ich nenne sie
Integristen
. Integristen sind Neoliberale in allen Parteien, die, wo immer sie auftreten, sich als Organisatoren der fließenden Übergänge zwischen Wirtschaft und Politik in Szene setzen. Sie rühmen sich ihrer guten Kontakte und
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