Der verkaufte Patient
nächste (diesmal mediale) Grätsche:
»Höhere Arzthonorare treiben Beitragssatz in die Höhe.«
Strategisch gesehen: genial! Aha, sollte sich der ahnungslose Bürger sagen: Jetzt sollen wir wieder zahlen für die Milliardenforderungen dieser gierigen Ärzte. In meinen Augen ein infamer politischer Schachzug von Ulla Schmidt & Co. Aber auch die CDU-Fraktion blies in das Horn. Die wahren Kostentreiber im Gesundheitswesen sind aber nun mal nicht die Ärzte, Schwestern und Pflegekräfte! Wer dubiosen Beratern Millionen in den Rachen wirft und 19 Milliarden für dieFinanzierung der ebenso unverantwortbaren wie nutzlosen Gesundheitskarte ausgibt, sollte nicht über Kostenexplosion im Gesundheitswesen reden!
Meine Telefone liefen nun heiß. Bürgerpatienten wie Ärzte ließen ihrem Unmut freien Lauf. Patienten trauten dem Frieden nicht, und ältere Ärzte erinnerten an gebrochene Wahlversprechen in Wahlkampfzeiten. Für die meisten Anrufer war nicht nachvollziehbar, was sich jetzt zwischen Verband und CSU abspielte. In einem Schreiben an den Hausärzteverband kam der Frust eines Jungmediziners zum Ausdruck: »(…) Gerade habe ich das Rundfax des Hausärzteverbandes gelesen und traue meinen Augen nicht. Als Arzt an der Basis fühle ich mich jetzt vollkommen im Regen stehengelassen. Auf bloße Versprechen hin, die dieses Mal zugegebenermaßen weiter über die bisherigen Versprechen hinaus gingen, sollen wir alles einstellen und die CSU lobpreisen. Als ich wegen der zunehmenden Honorarverluste anfing, politisch aktiv zu werden, und an der Basis zu kämpfen begann, ahnte ich nicht, was alles im letzten Jahr ans Licht kam. Dank der Arbeit des Verbandes und durch die Recherchen von Frau Hartwig und ihrem Buch habe ich erkennen müssen, dass wir nicht mehr nur um unser Einkommen kämpfen, sondern der wahre Grund hinter dieser Misere die Vorbereitung des Verkaufs unseres sozialen Gesundheitssystems ist. Längst ist unser Kampf nicht nur der ums Geld, sondern der von verantwortungsbewussten Ärzten und Bürgern gegen den skrupellosen Verkauf an private Wirtschaftsunternehmen. Egal ob wir ihn gewinnen können oder nicht, ihn für einen Sklavenvertrag aufzugeben, ist nicht hinnehmbar. (…)
Wann hat die Politik in den letzten Jahren ein Versprechen eingelöst und gehalten? Wie war das mit den Versprechen während der Verhandlungen der Gesundheitsreform, als die Plakataktion zunächst zurückgehalten wurde? Was war mit der publicityträchtigen Bundesratsinitiative der CSU? Und jetzt wieder Versprechungen, keine Fakten, keine Ergebnisse!
Es geht längst um mehr als um einen Vertrag, es geht um die Zukunft unseres Gesundheitswesens. Aber auch um die Sicherung der Praxen nicht nur für die nächsten zwei bis drei Jahre, bis der Großteil in den Ruhestand gehen kann, sondern auch langfristig für uns junge Ärzte, die nachkommen und nicht ins Ausland wollen. (…)«
Die jungen Ärzte haben recht. Es handelt sich tatsächlich um eine arglistige Täuschung all dieser jungen Ärzte, die ihre Zulassung nach der ersten Gesundheitsreform erhalten haben. Diese jungen Ärzte sind angetreten als freie, niedergelassene Ärzte, haben für die Zulassung und ihre Praxen bezahlt. Die Gesetzgebung der Gesundheitsreform ist aber tendenziell so angelegt, dass ein existenzielles Überleben als freie niedergelassene Ärzte sukzessive unmöglich wird, damit die umfassende Kapitalisierung im Gesundheitswesen greifen kann. Diese im Dschungel des Sozialgesetzbuches versteckte Intention wurde keinem der jungen Ärzte vor ihren Niederlassungen mitgeteilt.
Lasst die jungen Ärzte nicht im Regen stehen!
Ich will meine Enttäuschung über manche ältere Ärzte nicht verhehlen, die nur noch resigniert abwinken und sagen: »Mich geht das nichts mehr an … in drei, fünf, sechs Jahren habe ich alles hinter mir!« Noch mehr enttäuscht hat mich die Blauäugigkeit bestimmter Verbandsvertreter, die – wie seinerzeit Esau im Alten Testament – ihr Recht für ein Linsengericht vager Versprechungen und für die unsichere Aussicht auf ein paar Euro mehr hergegeben haben.
Umso mehr rührt mich die existenzielle Bedrohung der jungen Ärzte, bei denen es tatsächlich um Kopf und Kragen geht. Wenn die Dampfwalze »Integrierte Versorgung« ungebremst weiterrollt, werden sie entweder untergehen oder die weiße Fahne hissen müssen. Doch es gibt eine kleine, immerhinreelleChance, diesen Kollaps abzuwenden. Alle Betroffenen müssen unbeugsam Widerstand gegen diese
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