Der verkaufte Patient
Schulterschluss!
Mein Ziel ist der Schulterschluss zwischen Arzt und Patient. Er ist unsere letzte Chance, bevor unsere gesundheitliche Versorgung durch Auslieferung an die Geschäftemacher verloren geht. Ich verteidige nicht die Ärzte, die sich bereits mit dem Systemwechsel arrangiert haben, die heute schon die Dollarzeichen in den Augen haben, die heute schon mehr Verkäufer und Koofmichs als Ärzte sind. Sie sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst. Aber ich verteidige die freien Ärzte, die Allgemeinärzte wie die Fachärzte, die Widerstand leisten gegen unsere Ausplünderung durch die Kapitalgesellschaften. Das sind in meinen Augen die anständigen Ärzte, die Ärzte auf unserer Seite, die Patientenärzte.
Mein Ziel ist die gesellschaftliche Debatte. Ich bin Patientin, werde immer Patientin sein und werde mich niemals in eine »Kundin der Gesundheitsindustrie« umfunktionieren lassen. Ich will meinen freien Arzt behalten und brauche keinen Case-Manager. Ich will den informierten Patienten – und ich habe begriffen: Genau den wollen die Gesundheitsstrategen in der Politik, bei den Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen nicht. Sie wollen, dass wir sanft und dumm hinübergleiten in die schöne neue Welt der industrialisierten Gesundheit und die Architekten dieses Horrors für ihren blamablen Ausverkauf sogar noch mit Wählerstimmen belohnen. Wie schrieb mir Dr. B.? »30 000 Ärzte auf der Straße sind kein vernachlässigbares Wählerpotenzial. 10 Millionen Patienten können die politische Landschaft ändern! Ich danke Ihnen für Ihre Initiative. Es gibt Hoffnung!« Bravo, Herr Doktor!
KAPITEL 3
Pauschalabfertigung –
oder: Von der Wiege bis zur Bahre,
der Mensch als Ware
R atatam, zack, click. Die rhythmische Präzision, mit der eine metallverarbeitende Maschine Werkstücke in Stellung bringt, in Sekundenbruchteilen zurichtet, mit Werkzeugen bearbeitet, sie weiterleitet oder als Ausschuss aus dem Produktionsprozess ausscheidet – diese Präzision hat sich auf die Gesellschft übertragen. Tempo, Taktung, Kühle breiten sich zwischen Menschen aus – sogar dort, wo Wärme, Zeit und Zuwendung essenziell sind: im Gesundheitswesen. Von Fällen ist die Rede und von Fallpauschalen, von »durchschleusen« und »blutig raushauen«. Ich laufe über einen Flur eines Krankenhauses und sehe, wie ein völlig überarbeiteter Pfleger gegen ein leeres Krankenbett tritt. Er mag dreimal unterbezahlt und mit Recht frustriert sein, aber in seiner Körpersprache kommt der Geist des Systems zum Ausdruck: Ich mache einen Job – und das hier ist nur Dreck, nur Material, nur Schrott.
Abfertigen! Raushauen!
Gewiss muss ein Herzchirurg sich auf seine technischen Geräte und die kühle Präzision seiner Schnitte konzentrieren. Aber im Ganzen kann der Raum des Heilens und Pflegens nicht nach Art einer Maschinenhalle organisiert sein. Die Handgriffe der Pflegerin gegenüber dem pflegebedürftigen Menschen, mit der sie im Minutentakt das Gesicht waschen, ihn in den Rollstuhl hieven oder trockenlegen muss – das sindkeine quasimaschinellen Abläufe, die man im PC standardisieren, mechanisch durchführen und mit der Stoppuhr und dem Schrittzähler normieren kann. Sie sind »Zuwendung«, Ausdruck von Menschlichkeit, Erkenntnis menschlicher Würde, vielleicht Liebe, Mitgefühl. Ich habe die allergrößte Hochachtung vor jungen Menschen, die sich mit Herzblut und Idealismus auf den harten Pflegeberuf eingelassen haben, habe allerdings einer jungen Pflegerin auch schon einmal gesagt: »Sie, nehmen Sie mal das Ding aus dem Ohr!« Wortlos, blicklos, gesichtslos hatte sie einen Patienten gewaschen und umgebettet und dabei mehr auf den MP3-Player gelauscht, als in irgendeine Form von menschlicher Kommunikation zum Patienten zu treten. Ihre Handgriffe saßen perfekt. Ihre Seele war sonstwo. Gestresst die Checkliste abarbeiten, das ist nicht genug. Ein Moment Zeit für den anderen in seiner Not, für ein Lächeln, für ein nettes Wort, das macht von innen nach außen gesund. Die Pflegerin hat gelernt, wie man sich vor der eigenen Emotion schützt. Sie wäre nicht Pflegerin geworden, hätte sie nicht ursprünglich einmal wirkliche Liebe zum Menschen in seiner Not gehabt. Pfleger werden so geschult, dass sie im Akkord auf Handgriffe, Timings, Check-ups fixiert sind. Wo ist der Unterschied (etwa) der metallverarbeitenden zur menschenverarbeitenden Industrie?
Und weil der Mensch ein Mensch ist …
Jeder einzelne Pflegebedürftige
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