Der verkaufte Patient
ist kein Werkstück, sondern ein einzigartiger Mensch. Natürlich erfordern Krankenhäuser wie Pflegeeinrichtungen aus logistischen Gründen eine gute Organisation. Nimmt die Logistik jedoch überhand, nimmt sie gar den ersten Stellenwert ein, fällt der Mensch als Mensch durchs Raster – und wird zum
Fall
. Er wird pauschalisiert. Das Wort pauschal passt vielleicht auf Urlaubsreisen, niemals aber auf Menschen in ihrer abhängigen Angewiesenheit aufärztlich pflegerische Hilfe. Auch wenn ich noch kein Pflegefall bin und mit Gottes Hilfe auch keiner werde, denke ich die ganze Zeit an all die Pflegefälle, die als Menschen pauschal abgehandelt werden! Es wird ja nach »Fallpauschale« vergütet – ein vielsagendes, mit Gift versetztes Wort. Menschliches Mitgefühl, das ist in dieser Art von Umgang mit Menschen schlichtweg gestrichen. Es wird Zeit, dass wir Patienten und Bürger das Aufbegehren jener Ärzte und Pflegekräfte unterstützen, die diese inhumane Abfertigen nicht mehr mitmachen wollen. Es muss eine breite Front der Ablehnung gegen eine Abfertigung nach industriemäßigen Kriterien geben. Das ist gegen die Würde des Menschen!
Die Industrialisierung des Gesundheitswesens, die hinter der Abschaffung des Hausarztes, hinter der Gettoisierung von Pflegebedürftigen und Alten, hinter klinischen Großbetrieben und dem von der Wirtschaft gesteuerten Trend zur Apparatemedizin steckt, ist Geist von dem Geist, der derzeit unsere Welt verödet und arm macht. Es ist derselbe Abschied von menschengemäßen Strukturen, weswegen wir serienweise und diagnostisch meist unsinnig durch Computertomographen gejagt werden, wie wir Karawanen gleich in kilometerweit entfernte, durch Steuermittel großzügig geförderte Gewerbegebiete geschleust werden, um unsere Einkäufe nach der Devise »Geiz ist geil« zu tätigen. Mittelständische sogenannte Tante-Emma-Läden wurden von Großmärkten verdrängt – nicht weil es dem Menschen dient oder ein Mehr an Lebensqualität bedeuten würde, dort einzukaufen. Die kleinen Läden wurden ausradiert, weil sie der Geldmaschine im Weg waren, die längst nicht mehr nur die Strukturen dem Profitprofil anpasst, sondern den Menschen selbst in seiner Substanz angreift. Nicht mehr der Mensch ist das Maß aller Dinge. Für das System ist der Mensch nur noch in seiner ökonomischen Ausbeutbarkeit interessant.
Der Tötungsautomat ist einsatzbereit
Wie weit sind wir schon, wie viele Schritte trennen uns noch von einer Welt, in der »Menschen« als die eigentlichen Kostentreiber entdeckt werden – alte Menschen, geistig behinderte Menschen, Komatöse? Bis heute ist aktive Sterbehilfe aus guten Gründen in Deutschland verboten. Nach § 216 StGB macht sich jeder strafbar, der einem Sterbewilligen, selbst auf dessen Wunsch und mit seiner Billigung, ein Mittel verabreicht, das zum Tod führt (eine Spritze, ein Giftcocktail).
Nun hat Roger Kusch, bis vor kurzem CDU-Justizsenator in Hamburg, einen von ihm (!) entwickelten Tötungsautomaten vorgestellt. Dem juristisch gewieften Herrn Kusch ging es um die Vermeidung einer Straftat: Würde ein Freund oder der Lebenspartner die Spritze ansetzen, wäre es ein kriminelles Delikt. Nun kann der Todkranke nach der Methode Kusch zur Selbsthilfe greifen. Den Rest macht der Automat. Inzwischen ist das keine Theorie mehr. In Würzburg hat sich eine Frau das Leben genommen, aus Angst, eines Tages zur Belastung zu werden. Menschen, die nicht mehr produktiv sind, nicht mehr funktionieren, haben keinen Wert, fühlen sich als wertloser Lagerbestand. Kusch & Co arbeiten an rationalen Methoden zur Kostenoptimierung und zum Abbau unnützen Lagerbestandes. Schon früh wandte sich Katrin Göring-Eckardt gegen Kuschs Engagement für die Legalisierung aktiver Sterbehilfe: »Wenn wir aktive Sterbehilfe einführen, verändert das unsere Gesellschaft. Ich halte Ihre Forderungen für falsch. Eine solche Regelung würde den Druck auf todkranke Patienten, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, enorm erhöhen. Man muss sich ja nur einmal anschauen, wie in der Bevölkerung schon heute über die Kosten des Gesundheitswesens diskutiert wird … Viele alte Leute sagen doch jetzt schon: Ich falle meiner Familie und dem Gesundheitssystem nur noch zur Last. Wir sollten es nicht so weit treiben, dass sie sich genötigt fühlen, sozusagen sozialverträglich abzuleben.«
Auf dem Weg in ein anderes Land
Nein, ich bin nicht pessimistisch, nicht einmal nostalgisch, ich sehe sie nur ganz
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