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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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bekommt auf einmal Volumen. »Ich muss unbedingt in ein Fachkrankenhaus, sonst habe ich keine Chance, sagt mein Hausarzt. Ich muss da hin. Ich will es. Ich will ja nicht sterben.« – »Ja, und wieso gehen Sie da nicht hin?«, will ich wissen. »Die Kasse hat die Einweisung meines Hausarztes in ein Fachkrankenhaus in Frage gestellt. Die sei ja ›nur von einem Allgemeinmediziner‹! Da sollte man doch erst mal ambulant behandeln!« – »Und, hat man?« Da bricht es aus ihr heraus. In wenigen Minuten erzählt sie mir eine andere Strecke ihrer scheinbar endlosen Leidensgeschichte, vermischt mit Wut, Verzweiflung, Angst. Natürlich habe sie auch ambulant bereits eine psychotherapeutische Therapie gemacht – leider ohne jeden Erfolg. »Und dann?«, will ich wissen.
    »Dann sagten sie mir, dass ich für dieses Klinikum keine Kostenzusage benötigen würde. Ich solle einfach mit der Einweisung dort hingehen und dann müsse das mit einem integrierten Versorgungsvertrag ohne Probleme möglich sein. Pustekuchen, als ich bei der Klinik ankam – denken Sie mal, ich habe kaum Kraft zum Laufen – und denen erzählte, was mir die Kasse gesagt hat, zuckten sie mit den Schultern. Von meinem körperlichen Zustand her müsste ich zwar dringend hierbleiben. Aber das mit der Kostenübernahme – das sei ja nun eine glatte Fehlinformation, leider. Ich schleppe michwieder zur Kasse. Den ganzen Weg hin heule ich wie ein Schlosshund. Die Sachbearbeiterin ist genervt, dass ich schon wieder da bin. Ich gebe ihr den Einweisungsschein zurück und wiederhole, was die Mitarbeiter im Klinikum gesagt hatten: Die Kasse habe ihnen gegenüber die Kostenübernahme per Telefon abgelehnt.« – »Verrückt«, sage ich, »sind wir denn in einem Irrenhaus? Was hat die Kassenmitarbeiterin denn dann unternommen?« – »Sie erzählte mir, dass sie es zur Prüfung weiterreichen werde. Man werde sich bei mir melden.« – »Sie sind nach Hause gegangen?« – »Ich ging zur nächsten Toilette und kotzte, bis Galle kam. Beim Runterspülen dachte ich daran, wie einfach es doch wäre, sich einfach wegzuspülen. Ist doch egal, wohin es geht, hier will mich keiner!«
    Mein Blutdruck stieg: »Das ist also die tolle Reform, die alles besser macht. Eine todkranke Frau darf von Pontius zu Pilatus laufen, bis sie sich final in die Ecke legt und sich bei der Kasse nicht mehr muckst?« Für Gedanken dieser Art war jetzt keine Zeit. Ich lenkte Tina ab, indem ich ihr von meiner Katze erzählte, die gerade dabei war, im Garten die letzten Blumen auszugraben. Mir fiel einfach nichts anderes ein, und ich war froh, dass Archimedes mir eine Möglichkeit gab, das Thema zu wechseln. Doch Tina nahm den Faden wieder auf.
    »Als ich von der Toilette kam, sagte man mir, man werde sich von der Prüfungsstelle aus automatisch mit einem Therapeuten in Verbindung setzen und schauen, ob eine solche Therapiemaßnahme notwendig sei. Es könne ca. 14 Tage dauern. Völlig fertig schlich ich nach Hause. Rollläden runter und hoffen, dass alles ganz bald dunkel wird!« Mir blieb nicht viel mehr als Zuhören, langes, geduldiges Zuhören. Es wirkte. Langsam wurde aus dem Monolog ein Dialog. Sie fing an, mich zu fragen, ob sich Leben überhaupt lohne. Wir redeten lange über persönliche Ziele, über Hoffnung, über die Mischung aus Schönem und Schwerem im Leben; und am Ende dieses Gesprächs hatte ich das Gefühl, am anderen Ende dieser Telefonleitung war jemand, der wieder anfing zu atmen …
    Mir ging dieses Gespräch zwei Tage nach. Immer wieder schossen mir die Gedanken durch den Kopf. Da stellt ein Arzt also eine klare Diagnose bei einem Menschen, der sich in akuter Lebensgefahr befindet – aber ob dann tatsächlich etwas Rettendes geschieht, entscheiden irgendwelche Bürokraten bei der Krankenkasse, »in 14 Tagen«, »in drei Wochen«, »vielleicht« … oder überhaupt nicht. Vielleicht stirbt die Frau, bis der Bescheid eintrifft? Auch gut für die Kasse? Wozu studieren Ärzte, wenn
Krankenkassen
entscheiden, was mit Diagnosen geschieht, welche Therapien angemessen sind und was man sich (im wahrsten Sinn des Wortes) sparen kann? Sitzen da die Oberdoktoren der Republik? Haben die Übermedizin studiert?
    Solche Dinge gingen mir durch den Kopf, zwei Tage lang, bis Sonntagmorgen … genauer gesagt bis 10.45 Uhr. Da war nämlich Tina am Telefon. Irgendwie klang ihre Stimme anders, frischer, ja fast schon wütend. Wut gefällt mir, besonders bei Leuten, die keine Kraft haben. Wut ist

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