Der verkaufte Patient
Zusammensetzung nicht mit anderen Arzneimitteln, die der Rentner wegen seiner zwei Bypass-Operationen einnehmen musste. Herr S. hatte den fraglichen Beipackzettel erst zur Kenntnis genommen, nachdem sich sein Gesundheitszustand rapideverschlechtert hatte. Im Krankenhaus wurde der 68-Jährige medikamentös neu eingestellt, mit einem ganz anderen und sehr teuren Medikament, was wiederum in der Klinik zur üblichen Behandlungspraxis gehört.
Die Folge: Nach einer Woche Krankenhaus und einer weiteren Woche Rekonvaleszenz zu Hause waren alle Symptome abgeklungen. Dafür klaffte jetzt ein großes Loch in der Haushaltskasse des Rentners. Wenn er das Mittel aus dem Krankenhaus in der Apotheke nachkaufen wollte, musste er 50,00 Euro zuzahlen, obwohl er als chronisch Kranker an sich von Zuzahlungen befreit ist und seine Krankenkasse ihn zunächst auch anders informiert hatte. Die Apothekerin klärte ihn auf: Das neue Mittel sei halt ein »Wunschmedikament«, aber – o Trost – es gebe da ja wiederum ein günstigeres Präparat. Da Herr S. aber gerade erst erfolgreich auf das teure Mittel eingestellt worden war, zahlte er zunächst einmal zähneknirschend den saftigen Aufschlag und verschob eine erneute Umstellung auf Ende des Jahres.
Die Umstellung hatte sich für die Krankenkasse nicht gerechnet, ist der Rentner überzeugt: »Der Klinikaufenthalt war wahrscheinlich teurer als diese ganze Pfennigfuchserei bei den Medikamenten!« Nicht nur Herr S. beschwert sich und fühlt sich ausgebeutet. Dutzende von Betroffenen melden sich und schlagen in die gleiche Kerbe wie Herr S.: »Als Patient komme ich mir mittlerweile vor wie eine auf Tests abonnierte Laborratte – nach dem Motto: Probieren wir es mal, Hauptsache es ist billiger!«
FALL 4: Ohne Hausarzt stirbt sich’s schneller
Wie viel wert ist das Leben einer 102-jährigen Frau? Bisher dachte ich: Alter spielt keine Rolle. Mensch ist Mensch. Da kannte ich aber die Krankenkasse XY noch nicht, eine der ganz großen übrigens. Hätte es den couragierten HausarztKarl-Gerhard Leuchs nämlich nicht gegeben, Frau H., eine der ältesten Bewohnerinnen von Neuendettelsau, läge bereits auf dem Friedhof der mittelfränkischen Stadt. Todesursache? Ersticken. Was war passiert? Die alte Dame hatte sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen, war im Krankenhaus gelegen und dem Altenheim wieder überstellt worden.
Der Hausarzt besuchte Frau H. und stellte entsetzt fest, dass die bettlägerige Frau schon blaue Lippen hatte. Klares Signal: Atemnot. Hier muss ein Sauerstoffgerät her! Eigentlich eine Lappalie, auch nicht sonderlich kostenaufwendig. Doch Dr. Leuchs hatte die Rechnung ohne die Krankenkasse gemacht. Fassungslos vor Erstaunen hielt Dr. Leuchs das Schreiben des medizinischen Dienstes dieser Einrichtung in Händen. Ohne die Patientin gesehen zu haben, urteilte da ein
Jemand
: »Eine Indikation zur Langzeitsauerstofftherapie ist nicht festzustellen.« Der Arzt fasste sich an den Kopf, konnte den Bescheid erst recht nicht fassen, als er die zusätzlich diagnostische Empfehlung las: Man möge doch, hieß es da, bitte die Blutgaswerte mit und ohne Sauerstoff erheben, vorher könne man über die Notwendigkeit eines Sauerstoffgeräts nicht entscheiden. Eine solche Absurdität war nun auch Dr. Leuchs noch nicht untergekommen! Das dafür erforderliche Messgerät kostet etwa 10 000 Euro und steht in der Regel nur Krankenhäusern zur Verfügung. Was sollte der erfahrene Arzt (Praxis seit 1989) nun tun? Sollte er die alte Dame, die gerade am Ersticken war, noch tatütata ins Krankenhaus befördern lassen? Für eine sinnlose Untersuchung, deren Ergebnis nur bestätigen würde, was jeder Laie mit bloßem Auge sieht: Die Frau braucht Sauerstoff!? Sollte er vielleicht, amtsschimmeltechnisch korrekt, vorher noch mit der Kasse die Transportkosten abklären? 14 Tage Korrespondenz, während ein Mensch erstickt?
Dr. Leuchs sparte sich den Brief an die Kasse. Er hatte keine Lust, einen Krankentransport für eine nach Luft ringende Greisin anzuordnen, der eher einer lebensgefährlichen Körperverletzungals einer sinnvollen diagnostischen Maßnahme gleichen würde. Dr. Leuchs hatte die Nase gestrichen voll angesichts der ebenso skandalösen wie alltäglichen Kostentreiberei durch KKFF – sprich: Krankenkassen-Fern-&-Fehl-Diagnosen. Ihm platzte der Kragen, und er schrieb gleich an die zuständige Ministerin in München: Christa Stewens. Und dieser Brief hatte sich gewaschen! »Wenn nichts geschieht,
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