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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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wird diese Patientin ersticken!« Einer Antwort durch die Ministerin wurde Dr. Leuchs nicht gewürdigt.
    Der Arzt ging an die Presse und griff die Kassen massiv an: »Wir streiten mit den Krankenkassen jeden dritten Tag um irgendwelche idiotischen Sachen. Die am Schreibtisch kennen die Patienten zwar nicht, bestimmen aber, was sie an Leistungen bekommen.« Dass Frau H. den Blackout der Kasse überlebte, verdankt sie übrigens einer ärztlichen Partisanenaktion: Dr. Karl-Gerhard Leuchs trieb den Sauerstoffkonzentrator eines anderen Patienten im Heim auf, den dieser gerade nicht brauchte. Das war zwar nicht »erlaubt«, dafür lebensrettend.
FALL 5: Alt und krank – Mutter, was nun?
     
    Die weißen Wände starren mich an. Die Schwester lächelt, weil sie nur so ihre Arbeit ertragen kann. Der Arzt steht vor mir, sein Blick bohrt sich fest. Die Diagnose hat ihm keinen Schock versetzt. Er bleibt kühl und sachlich wie jeden Tag, er sagt es mir, und es klingt hart. Die Frau

meine Mutter, die mich geboren hat – musste ich heute dem Können der Ärzte anvertrauen. R. H
.
     
    Der typische Krankenhausgeruch steigt mir in die Nase. Da finde ich mich nun wieder, in dem Labyrinth der Gänge und Türen. Alles steril. Selbst die Gesichter der Menschen, die mir begegnen, scheinen sich zu gleichen. Wie befohlen zieht jeder, der diese Station betritt, einen Schutzkittel an. Es erinnertmich an Uniformen im Krieg gegen Krankheiten. Mit ernster Miene, der Station angepasst, öffne ich vorsichtig die Tür zum Krankenzimmer. Als ich an das Bett meiner Mutter trete, denke ich als Erstes: »Sie ist so weiß wie das Bett, in dem sie liegt.«
    Ich nehme einen Stuhl, setze mich neben sie und nehme ihre Hand. Eine Krankenschwester sagt mir, worauf ich achten sollte. Meine Mutter müsse viel trinken. Mit einem »Und, ach ja, wenn Sie gehen, sagen Sie im Stationszimmer Bescheid« verschwand sie. Diese unheimliche Ruhe unterbricht meine Mutter mit einem Lachen und einem ihrer unvergessenen Blicke aus ihren graublauen Augen. »Was die Schwester vergessen hat zu sagen:
Was
ich trinken soll … Ich sehe nichts, was ich trinken könnte, und noch dazu viel!«
    Der Bann ist gebrochen, auch ich muss lachen. »Ich besorge jetzt dieses
Viel
, das du trinken sollst.« Auf dem Weg ins Stationszimmer komme ich ans Nachdenken: Sie hat also vorhin gar nicht geschlafen, sondern nur die Augen zugehabt und lag ganz ruhig da. Sie ist eben ein Gänseblümchen-Mensch, denke ich. Sicher weiß niemand im Krankenhaus, was ein Gänseblümchen-Mensch ist. Das ist eine ganz besondere Gattung. Gänseblümchen-Menschen haben ihre eigene Philosophie, leben ihr Gänseblümchen-Leben unaufdringlich, unscheinbar, aber revolutionär in ihrer Zärtlichkeit.
    Im Stationszimmer pulsiert das Leben; dort ist gerade Hektik. Die Krankenschwester hatte zwar die richtige Anweisung »viel trinken« gegeben, aber was denn? »Fehlt irgendwas?« Meine Antwort ist knapp: »Ja, das
Viel
, das meine Mutter trinken soll.« Soll ein Scherz sein, kommt aber nicht gut an. Für Humor ist gerade keine Zeit; die beiden Schwestern eilen von Zimmer zu Zimmer. Sechs OPs von heute Morgen, all die anderen Schwerkranken müssen versorgt werden. Nebenbei eine Aufmerksamkeit für mich: »Hier eine Flasche stilles Wasser, die können Sie immer hier abholen.« Ich werde als »Helferin« ins Schwesternteam aufgenommen.
    Im fliegenden Wechsel sind mein Mann, ich und die Kinder bei Oma im Krankenhaus. Zu der OP des Oberschenkelhalsbruchs kommt der bereits als unheilbar diagnostizierte Krebs. Unsere Hilfe in der Pflege wird gern angenommen. Wir bauen es aus zu einer Rundumversorgung meiner Mutter – und integrieren gleich auch noch ihre Zimmernachbarin.
    Es ist der Donnerstag vor Pfingsten: Die beiden alten Damen unterhalten sich über ihre Erinnerungen an Pfingsten. Kirchgang war ihnen das Wichtigste. Nur, das war nicht zu machen dieses Jahr. Beide schweigen vor sich hin. Beim Abendessen, das ich auf dem Wagen draußen am Flur abhole, frage ich nebenbei die Schwester: »Gibt es denn keine Kirche im Krankenhaus?« – »Doch, ganz unten rechts ist eine Kapelle.«
    Und so stehe ich eine Stunde später in der Kapelle und fixiere die Tür, ob da ein Bett durchpasst. Mein Augenmaß sagt ja, aber ich will auf Nummer sicher gehen –
nachmessen, Renate!
Als ich oben ankomme, ist bereits die Nachtschicht da. Schwester Ute ist immer gut drauf. Meine Bitte nach einem Zollstock kann sie nicht erfüllen. Immerhin ruft

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