Der verkaufte Patient
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gegangen ist, und empfiehlt schlicht seine Beendigung. »Wir riskieren«, erläutert Thomas Maus, »sonst nach den ersten Sicherheitspannen im hochsensiblen Gesundheitswesen tatsächlich einen Maschinensturm, der weit mehr vernichten wird als nur ein paar Chancen des IT-Einsatzes in der Medizin: nämlich das unverzichtbare Vertrauen der Bevölkerung für einen sinnvollen, nutzbringenden IT-Einsatz überhaupt.«
Warnungen eines überspannten Computerfreaks? Keineswegs. Ein Blick auf den real existierenden Horror in der Wirklichkeit lässt hoffentlich jeden informierten Bürger zusammenzucken. Laut einem Bericht aus Holland gelang es professionellen Sicherheitstestern, unbemerkt 1,2 Millionen Patientenakten elektronisch zu entwenden! Wer sagt’s denn?Geht doch. In Amerika gibt es einen schwarzen Markt für Gesundheitsakten. Eine einzige dieser Akten besitzt für Kriminelle einen Wert von ca. 2600 $. Preise, die Lust machen!
Gesunde Wirtschaft
Unsere Altvorderen haben gesagt: »Wo Rauch ist, ist auch Feuer.« Ich würde sagen: Wo in der Gesellschaft ein milliardenschweres Großprojekt trotz ernsthaftester Einsprüche durchgeboxt werden soll, stecken andere, machtvollere Betreiber dahinter als eine Ulla Schmidt und ihre Einflüsterer. Sofern das Gesundheitsministerium nicht ohnehin bereits eine Unterabteilung des Wirtschaftsministeriums geworden ist, könnte man sagen: Hier ereignet sich Wirtschaftsförderung im großen Stil. Das Sozialwesen löst sich nicht in Luft, sondern in ein gigantisches Sponsoring der Gesundheitswirtschaft auf. Gesponsert werden allerdings nicht Produzenten von Stützstrümpfen oder von Heftpflaster. Die neuen Bedürftigen heißen IBM, SAP, Siemens, arvato oder Microsoft. Die IT-Industrie ist der Ort, an dem sich die schleichende Verwandlung des Sozialwesens in Gesundheitsindustrie ereignet. IBM, SAP, Siemens, arvato und Microsoft sind es, die an der »elektronischen Gesundheitskarte« arbeiten – und dies, wie man weiter unten sieht, nicht gerade zum Sozialtarif. Mit diesen Firmen ist man vertraglich im Benehmen.
Feine Firma
Einmal auf die E-Card angespitzt, liest man bestimmte Pressemeldungen mit neuen Augen: »Im Siemens-Schmiergeldskandal hat das Landgericht München eine Geldbuße von 201 Millionen Euro gegen Deutschlands größten Elektrokonzern verhängt. Damit werden dubiose Geldströme in der früherenTelekommunikationssparte Com geahndet.« – »Siemens akzeptiert die gerichtliche Sanktion und übernimmt damit die Verantwortung bezüglich des Fehlverhaltens im Bereich Com in der Vergangenheit, teilte der Konzern am heutigen Donnerstag in München mit. Siemens habe daher auf weitere Rechtsmittel verzichtet. Zusätzlich muss der Konzern eine Steuernachzahlung in Höhe von 179 Millionen Euro leisten.« Hm? Siemens? Telekommunikation? War da nicht was mit der E-Card?
Natürlich. Die E-Card-Entwicklung war bis Ende 2006 ein wesentliches Geschäftsfeld im Unternehmensbereich ICN/Com, dort bezeichnet als Com ESA Vertical Solutions Practices (VSP). Im Unternehmensbereich Com fand der größte Teil der bekannten Schmiergeldaffäre statt. Verantwortlich war ein Sektor Vertical Health Care (HCS), Dr. Günther Braun, von dem auch in einer Presseerklärung geäußert wurde, dass das Geschäftsfeld EC einer der interessantesten zukünftigen Goldgräbermärkte des Hauses Siemens sei. Ab 1. 1. 2007 wechselte das Geschäftsfeld zum Unternehmensbereich Med by Medical Solutions in Erlangen, nachdem der ursprüngliche skandalträchtige Unternehmensbereich Com aufgelöst worden war.
Die Staatsanwaltschaft München ermittelt seit 2006 umfan greich gegen den Siemens-Geschäftsbereich Com, eben auch im Zusammenhang mit Ereignissen rund um die E-Card. Dies gestaltete sich schwerer als gedacht, weil die leitenden Siemens-E-Card-Manager, nämlich Dr. Braun, Martin Britorius und Michael Kollak, im Zuge der Umstrukturierung zum Jahresende 2006 innerhalb kurzer Zeit auf Grundlage von einvernehmlichen Auflösungsverträgen das Unternehmen verlassen hatten. Da diese Manager bislang nicht persönlich beschuldigt waren, standen sie auch für Auskünfte nicht mehr zu Verfügung.
Interessantes Ermittlungsdetail war, dass Dr. Uwe Borst, leitender Manager im Siemens-E-Card-Bereich, von Dr. Braun, Funktion Solution Architekturdesign, lange Zeit Mitglied imE-Card-Architekturboard des Bundesministeriums für Gesundheit tätig war bzw. dort auch weiterhin im Expertenteam des BMG tätig ist. Das
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