Der verkaufte Patient
oder: Do-it-yourself-Medizin
mit telefonischer Anleitung
D as Wort »Callcenter« gibt es noch nicht besonders lange. Wer einmal das Vergnügen mit seiner Telefongesellschaft oder seiner Bank hatte, ist für den Rest seines Lebens bedient. In Wahrheit wird man nämlich nicht mit den Menschen verbunden, die man dringend sprechen möchte, sondern mit irgendwelchen inkompetenten Abwimmlern und Abwicklern. Die sitzen auch nicht dort, wo man sie vermutet, sondern in der Prärie. Und sie haben Anweisung, was sie sagen dürfen und was nicht. Für mich: reine Zeitverschwendung! Die Letzten, die noch einen Narren am »Callcenter« gefressen haben, sind die Krankenkassen. Nicht, dass sie selbst welche einrichten. Sie gehen Geschäftsverbindungen mit privaten Anbietern ein – und sie honorieren den Quatsch königlich. Dabei ist das Thema »Callcenter« nur einer der Bereiche, in denen sich der fließende Übergang zwischen Markt und Kasse ereignet.
Der Fall Ventario
Ein Organigramm zu all den Managementgesellschaften, die sich im Gesundheitsmarkt tummeln und sich in geschickter Kooperation mit Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen Marktanteile sichern, würde das Querformat eines DIN-A3-Blattes sprengen! So hat z. B. die AOK Bayern 2005 mit einer
Ventario
GmbH einen Vertrag zur Behandlung herzkranker Patienten abgeschlossen. Für Dienstleistungen und telefonische Mitbetreuung sollte die Gesellschaft 800 Euro jährlich pro eingeschriebenen Patient erhalten. Bayerische Hausärztefanden, dies sei reine Verschwendung von Versichertengeldern, und weigerten sich, ihre Patienten einzuschreiben.
Recht hatten sie: Wenn renditeorientierte Kapital- und Aktiengesellschaften unserem Gesundheitssystem durch Verträge mit Krankenkassen horrende Summen entziehen können, weil Kassenfürsten mitmachen, ohne dass die Versicherten dazu gefragt wurden, ist dies in meinen Augen eine sinnlose Verschleuderung von Versicherungsgeldern. Bisher vertrauten Patienten diese Finanzmittel als Versicherte ihrer Krankenkasse in dem Glauben an, im Krankheitsfall die erforderliche Hilfe von ihrem Arzt oder Krankenhaus zu erhalten. Nicht, um damit Gewinne für Managementgesellschaften zu finanzieren. Auch nicht, um von Callcentern angerufen und kontrolliert zu werden.
Do it yourself!
Die Helden von heute sind Politiker, die Arbeitsplätze schaffen. Mit dieser Aura möchten sich Politiker jeder Couleur schmücken. Und wenn es ihnen dann tatsächlich einmal gelingt, Unternehmen an einen Standort zu binden, schwingt Stolz in ihren Reden. So erging es auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghans. Im Oktober 2007 verbuchte er mit den neu eingestellten 100 Arbeitskräften beim amerikanischen Gesundheitsdienstleister Healthways einen »schönen Ansiedlungserfolg«.
Healthways ist der größte Anbieter von Betreuungsprogrammen für chronisch Kranke in den USA. Das Unternehmen ist in Deutschland angekommen und bietet seine Dienstleistungen für Versicherte deutscher Krankenkassen an. Healthways generierte eine geniale Geschäftsidee, die wie gerufen kommt, wo es um Kostendämpfung im Gesundheitswesen geht. Healthways spart kurzerhand den Arzt ein. Do it yourself, liebe Patientin, lieber Patient!, lautet die Parole.Healthways fungiert als Dienstleister, etwa im Auftrag einer Krankenkasse. Der Patient ahnt nicht, dass er mit Healthways (statt mit seiner Krankenkasse) spricht. Die Damen und Herren am Telefon (von Healthways angeworbenes Personal aus dem Pflegebereich) sagen keinen Ton, wer ihr Brötchengeber ist, und melden sich mit dem Namen der Kasse, mit der Healthsways einen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen hat.
Der chronisch Kranke bekommt online abrufbare Informationen zur Verfügung gestellt; ein Betreuer ruft ihn regelmäßig an und sagt ihm, wie er sich selbst therapieren kann.
Der Spaß heißt in der Fachterminologie »telefonbasierte medizinische Betreuung« und ist in den USA seit langem üblich. Für Wirtschaftsminister Ulrich Junghans ist das nur der Beginn einer neuen Ära im Gesundheitswesen:
»Die Life-Sciences-Branche in Berlin-Brandenburg hat sich zu einem Markenzeichen der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg entwickelt. Healthways wird dazu beitragen, dass diese Marke noch stärker wird. Ich bin froh darüber, dass es gelungen ist, dieses weltweit agierende Unternehmen von einem Standort in Brandenburg für sein erstes deutsches Servicezentrum zu überzeugen. Dass die deutsche Zentrale dieses Globalplayers auf dem
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