Der verkaufte Tod
Burten meistens gut gelaunt war. »Ed«, sagte er sehr ernst, »ob du es hören willst oder nicht: Du darfst nicht mehr mit Lora zusammen schlafen. Vorerst nicht.«
»Ha! Das geht dir wie Honig von der Zunge!« Burten paffte den Zigarrenqualm gegen die Decke. »Aber beruhige dich! Ich schone Lora, ich fasse sie nicht mehr an, ich weiß, wie schwach sie ist und wie unfähig ihr Ärzte, ihre Krankheit zu erkennen.«
»Es geht darum, Ed, daß du täglich mit Millionen von Viren und Bakterien behaftet bist, wenn du dich neben sie legst. Du spürst sie nicht, dein Körper steckt sie weg, aber Lora fängt sie sofort auf. Ihr Immunsystem ist gestört, sie hat nur noch geringe natürliche Abwehrkräfte. Sie ist wie ein Amazonasindianer, der zum ersten Mal einem Weißen begegnet und sofort infiziert ist.«
»Ich dusche mich, bevor ich ins Bett gehe!« sagte Burten beleidigt.
»Damit tötest du keine Keime ab. Aber Lora zieht sie wie ein Magnet an. Deshalb zieh vorübergehend aus dem Schlafzimmer aus. Es ist ja nur eine kurze Zeit.«
Dr. Salomon behielt recht, wenn auch in einem anderen Sinne.
Lora verfiel sichtlich. Ihr Körper war knochig geworden, das Gesicht eingefallen, wie ein geschminkter Totenschädel, um den sich ihr wunderbares goldblondes Haar legte. Sie lag völlig apathisch im Bett, und Burten saß stundenlang bei ihr, hielt ihre Hand, und wenn er in seiner Bibliothek mit Dr. Salomon am flammenden Kamin saß, weinte er wie ein kleiner Junge und begriff einfach nicht, daß die Ärzte ratlos waren.
Er hatte in den vergangenen Wochen alle berühmten Internisten nach New York kommen lassen, von San Francisco bis Halifax, von San Diego bis Chicago, es hatte ihn ein kleines Vermögen gekostet – aber nur, um in ratlose Gesichter zu blicken, nichtssagende Worte zu hören, zwanzig verschiedene Therapien zur Kenntnis zu nehmen und dicke Schecks auszufüllen.
»Sie wissen alle nichts!« schrie er, als Nummer 22, der international berühmte Immunforscher Professor Loyd Pollak, gegangen war. »Sie sehen Lora an und kneifen den Arsch zusammen.«
»Das hätte ich dir vorher sagen können, Ed«, meinte Dr. Salomon und goß ihnen beiden je ein großes Glas Whiskey ein. »Du kannst noch hundert Koryphäen holen.«
»Aber Lora ist doch krank.«
»Es gibt Krankheiten, die kennt man noch nicht. Sie tauchen plötzlich auf und verunsichern die Mediziner. Denk an die rätselhafte Legionärskrankheit. Sie trat zum ersten Mal im Sommer 1976 auf, bei einem Treffen unserer Kriegsveteranen in Philadelphia. Da erkrankten plötzlich hundertachtzig Veteranen an einer Pneumonie, die nicht zu beherrschen war. Neunundzwanzig von ihnen starben. Die medizinische Welt stand damals Kopf – jetzt wissen wir, was es ist, und haben die Krankheit im Griff. Genau so wird es mit Loras Erkrankung sein – wir packen sie!«
»Aber wann?«
»Das kann keiner sagen, Ed. Du hast gehört, daß in San Francisco drei ähnliche Fälle bekannt geworden sind, die die Immunologen zu verstärkten Anstrengungen aufgerufen haben.«
Burten schwieg. Und plötzlich wußte er, was Dr. Salomon ihm mit den drei bekannten Fällen sagen wollte, ganz diskret, ganz versteckt. Er fuhr auf dem Absatz herum, packte seinen Freund an den Anzugsaufschlägen und riß ihn zu sich heran. Seine Stimme war nicht wiederzuerkennen; sie hatte keinen Klang mehr, sie war nur noch ein dumpfer Aufschrei: »Drei Fälle, und alle sind gestorben! Wird Lora auch sterben?«
Dr. Salomon schwieg. Er ließ sich schütteln, aber er schwieg. Er ließ zu, daß Burten ihn in wilder Verzweiflung ins Gesicht schlug; doch wieder schwieg er. Erst, als Burten kraftlos in einem der schweren Ledersessel hing und laut weinte, sagte er: »Rechne mit dem Schlimmsten, Ed. Wir Ärzte haben getan, was wir konnten.«
»Nichts!«
»Ja. Wir können nichts tun.«
An einem Sonntag starb Lora. Es war ein ruhiges, stilles, ja lautloses Sterben. Sie schlief ein, und das Herz hörte auf zu schlagen. Burten kniete an ihrem Bett, hielt ihre beiden Hände, streichelte sie und ihr Gesicht, sprach mit ihr über seine unsagbare Liebe zu ihr und wußte nicht, ob sie ihn hörte oder ob sie schon jenseits dieser Welt war und nur noch ihr Herz schlug. Er war wirklich tapfer, er weinte nicht, bis Dr. Salomon leise sagte: »Sie hat es hinter sich.« Erst da sank sein Gesicht auf ihre kälter werdende Hand. Er küßte sie und dann ihren kalten, halb offenen Mund.
Dr. Salomon zog ihn sanft, aber unnachgiebig von ihr weg.
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