Der verkaufte Tod
zwingen.«
»Gewichtsabnahme?«
»Ja. Bisher vier Kilo.«
»In welchem Zeitraum?«
»Ungefähr sechs Wochen.« Tawan stützte beide Arme auf seine Oberschenkel, Arme, vollgepackt mit Muskeln; aber manchmal hatte er jetzt das Gefühl, sie seien schlaff wie Würste, die an seinem Körper hingen. »Das kann aber auch von dem Durchfall kommen.«
»Du hast Durchfall?«
»Gehabt. Viermal in den sechs Wochen. Ich habe schon gedacht, ich hätte mich an irgendeinem Essen vergiftet. Aber das ist unmöglich. Ich esse nur aus der eigenen Hotelküche. Unsere Köche würden nie verdorbene Waren verarbeiten. Die Küche des ›Bambusgartens‹ hat bereits einen Ruf in Kalkutta. Ich weiß nicht, woher die Durchfälle kamen. Vielleicht habe ich zu schnell getrunken, zu schnell und zu kalt.«
»Das alles deutet auf eine Infektion hin, die du im Körper hast, Tawan. Nur was es ist, das müssen wir herausbekommen. Du kannst dich wieder anziehen. Stop!« Dr. Kasba beugte sich vor und tippte Tawan auf sein rechtes Bein. »Heb das mal hoch.«
Tawan hob das Bein und stellte es auf die Untersuchungsliege.
Dr. Kasba beugte sich über den Unterschenkel. Oberhalb des Knöchels legte er die Spitze seines rechten Zeigefingers auf einen kleinen dunkelbraunen Fleck, der wie ein Muttermal aussah. »Hast du den schon lange?« fragte er.
»Was?«
»Die Hautveränderung am Knöchel.«
»Ich habe eine Hautveränderung? Das habe ich noch gar nicht gesehen. Wo denn? Dieser dunkle Punkt? Er ist mir noch nie aufgefallen.«
»Hast du ihn schon immer gehabt?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe nie darauf geachtet.«
»Juckt er?«
»Nein. Dann wäre ich ja aufmerksam geworden.« Tawan betrachtete den braunen Fleck über seinem Knöchel. Er konnte sich nicht erinnern, ihn früher je gesehen zu haben. »Hat das was zu bedeuten?« fragte er.
»Nein, aber wir müssen die Verfärbung beobachten, Tawan. Wenn sie größer wird, wenn sich irgend etwas an ihr verändert, mußt du sofort zu mir kommen.«
»Hautkrebs?«
»Blödsinn!«
»Ich habe davon gelesen.«
Das war es, was Tawan mit größtem Stolz erfüllte: Durch den intensiven Unterricht bei Dasnagar konnte er jetzt schreiben, lesen und rechnen, kaufte jeden Tag die ›Calcutta Times‹, las die neuesten Illustrierten durch und schrieb zur Übung Briefe an sich selbst oder an Vinja (die er nie abschickte) und freute sich wie ein beschenkter Junge, wenn er auf den Straßen vor Plakatwänden stehen blieb und sie mühelos lesen konnte. Das letzte, lähmende Gewicht, das ihn noch an die Slums gefesselt hatte, war damit von ihm abgefallen: Wer lesen, schreiben und rechnen kann, hat die erste Stufe der Leiter zum Erfolg erreicht. Die Welt steht ihm offen.
Tawan zog sich wieder an und saß dann Dr. Kasba am Schreibtisch gegenüber. Der Arzt trug einige Notizen in ein Krankenblatt ein.
»Wie lautet Ihre Diagnose?« fragte Tawan.
»In der Medizin galoppiert man nicht. Alles schön der Reihe nach und gründlich. Zunächst machen wir von dir einen großen Blutstatus, dann Röntgenaufnahmen, und dann erst weiß ich mehr. Jetzt, das war nur eine Voruntersuchung. Wir gehen gleich zum Labor hinüber und nehmen dir Blut ab. Und eine Urinprobe brauchen wir auch.« Dr. Kasba erhob sich. »Gehen wir, Tawan.«
Später brachte Dr. Kasba ihn bis vor die Tür der Klinik, so wie jeder reiche Patient von dem ihn behandelnden Arzt verabschiedet wurde. Tawan gehörte jetzt zu diesen bevorzugten Patienten; der Cadillac mit Chauffeur, der vor der Auffahrt wartete, setzte ein deutliches Zeichen.
»Der unaufhaltsame Aufstieg des Tawan Alipur!« sagte Dr. Kasba anerkennend. »Jetzt hast du auch noch einen eigenen Chauffeur.«
»Nicht ganz. Subhash ist mein Geschäftspartner bei den Flughafentransaktionen.«
»Der Blitzfahrer?«
»Genau der.«
»Wie lange willst du diesen ›Geschäftszweig‹ noch betreiben?«
»Solange ich noch eine schnelle Hand habe und noch schnell reagiere. Aber wie lange kann ich das noch, wenn die Schwäche immer größer wird? Sie müssen herausfinden, woher diese Müdigkeit kommt.«
»Mußt du dieses Geschäft noch betreiben? Du bist jetzt ein angesehener Mann, dein Hotel und dein Restaurant werden immer bekannter, sie werden in dem neuen amtlichen Reiseführer von Kalkutta empfohlen, du hast dich an verschiedenen anderen Firmen beteiligt – reicht das nicht?«
»Ich kann nicht anders.« Tawan lächelte Dr. Kasba an. »Es juckt mich in den Fingern, und es würde mir etwas fehlen, allein
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