Der verkaufte Tod
nie mehr zu ihr – sie weiß, wie Vinjas Fuß verstümmelt wurde. Sie hat es nicht gesagt, aber ich habe es gespürt.
»Sie hat so vielen geholfen, denen keiner mehr helfen konnte«, sagte Tawan. »Vielleicht weiß sie mehr als die Ärzte?«
»Nicht zu Mutter Teresa! Ich will nicht.«
Es hatte keinen Zweck, mit Baksa weiter darüber zu reden. Tawan verließ sie und versprach ihr, in drei oder vier Tagen wiederzukommen. Er hatte vier Tage Arbeit in einem Lagerhaus am Shibpur Ghat bekommen und mußte Kisten, Säcke und Ballen hin und her schleppen und Lastwagen damit beladen.
Zwei Tage nach Tawans Besuch, an einem warmen Abend, wo man gern im Fluß badete, fanden Nachbarn Baksa – sie lag im Dreck des Ufers, war auf die Seite gefallen und ganz still gestorben. Man vergrub sie sofort an einer sumpfigen Stelle am Fluß. Ein Nachbar, dem Baksa vertraut hatte, nahm Vinja unter den Arm und lief durch die Riesenstadt zur Punjab National Bank.
Stumm hing Vinja in seinem Arm, und mit ihren großen braunen Augen betrachtete sie die laute, von Menschen, Tieren und Fahrzeugen wimmelnde Welt und winkte den heiligen Kühen zu, die träge auf den Straßen lagen und die niemand vertreiben durfte. Nur einmal fragte sie: »Wohin gehen wir?«
Und der Nachbar antwortete: »Laß dich überraschen, Vinja. Du wirst länger leben als deine Mutter.«
Tawan kam müde und mit wundem Rücken vom Kistenschleppen zu seiner Behausung zurück und blieb verwundert stehen, als er durch die Plastikplane Licht schimmern sah. Es war nichts Neues, daß während der Abwesenheit des Bewohners seine Behausung einfach von anderen besetzt wurde mit der Begründung, sie habe ja leer gestanden. Es gab dann immer einen gnadenlosen Kampf um dieses Fleckchen Erde, mit Messern, Dolchen, Zaunlatten oder Eisenstangen.
Tawan straffte sich, griff in seinen Hosengürtel und holte ein Klappmesser heraus. Du wirst nicht mehr lange Freude unter meinem Dach haben, dachte er voll Grimm. Ich bin mit dem Messer schneller als das Vorzucken einer Kobra. Er riß die Plane des Eingangs auf, die Messerklinge zum Stechen vorgestreckt, aber dann stand er starr im trüben Licht und ließ das Messer sinken.
Auf seinem Lager saß Vinja und winkte ihm fröhlich zu, und Baksas Nachbar saß daneben und trank Tee aus der hohen Blechtasse von Tawan. »Ich bringe dir Vinja«, sagte er. »Es war Baksas letzter Wunsch.«
»Sie ist tot?«
»Ja. Am Fluß ist sie vor Schwäche umgefallen und ist nicht mehr aufgestanden. Sie wußte, daß es zu Ende war.« Der Nachbar hielt Tawan ein Kuvert hin. »Und auch das soll ich dir von ihr geben.«
Tawan riß das Kuvert auf. Rupienscheine lagen darin, er zählte nach, und Tränen traten in seine Augen. »Dreihundert Rupien«, sagte er stockend. »Das hat sie für Vinja gespart. Und du bringst sie mir – du bist ein ehrlicher Mensch.«
Der Nachbar schwieg und trank einen Schluck Tee. Es waren vierhundert Rupien gewesen, die Baksa hinterlassen hatte, aber wenn man bedenkt, daß er Vinja stundenlang durch die Stadt bis zur Punjab National Bank getragen hatte und sie unterwegs eine Wassermelone gekauft hatten, war es eigentlich ein gerechter Lohn. Es war unnötig, darüber zu sprechen. »Was wirst du jetzt tun?« fragte er. »Im Hafen kannst du nicht mehr arbeiten. Du kannst Vinja nicht den ganzen Tag allein lassen. Hol dir Baksas Platz am Grand-Hotel zurück – dort hat Vinja jeden Tag so viel verdient, daß sie leben konnten.«
»Auch die Bank hier ist ein guter Platz.« Tawan setzte sich auf seine Liege, zog Vinja auf seinen Schoß und überlegte, ob es noch andere Möglichkeiten gebe, als zu betteln. Vinja allein zu lassen, das sah er ein, war unmöglich. Sie mit zu den Ghats zu nehmen und irgendwo hinzusetzen, während er die Schiffe entlud oder an der Fähre die Koffer der Ausländer trug und sie dabei bestahl, war auch kein guter Gedanke. Wie sah die Zukunft überhaupt aus? Nun hatte er ein Kind, ein zweijähriges, verkrüppeltes Mädchen, das mit seinen großen glänzenden Augen jeden anlockte. Gewiß, was Baksa ihm da hinterlassen hatte, war ein Kapital, aber Tawan war nicht ein Mensch, der vom Betteln leben wollte. Er fühlte sich als Hafenarbeiter und unter seinem Holzdach wohl. Was also tun?
Zunächst kaufte Tawan, als der Nachbar gegangen war, bei einem Küchenstand eine Schale Reissuppe und eine Schale gebratenes Fleisch mit ein paar Gemüsewürfeln. »Jetzt essen wir erst mal«, sagte er zu Vinja.
Sie klatschte in die Händchen
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