Der verkaufte Tod
den Seidenanzug im Fenster. Den weißen‹? Oder sagt man: ›Können Sie mir bitte den Seidenanzug zeigen?‹ Nein, nicht ›bitte‹ – ein Mann mit Geld in der Tasche bittet nicht, er verlangt. Er zögert nicht und will bedient werden. Tawan, gewöhne dich daran: Ab heute wirst du von anderen Menschen bedient. Du bist kein Kistenschlepper mehr, kein Abfalldurchwühler, kein Touristenbetrüger. Du brauchst den Kopf nicht mehr demütig zu senken, und niemand wird dich mehr anschreien: »Komm her, da stehen noch zwanzig Säcke! Los, los, Beeilung, ich bezahle dich nicht fürs Bodenanwärmen!«
Tawan gab sich einen inneren Ruck, klinkte die große Glastür auf und betrat das Geschäft. Er blickte in maßlos erstaunte Augen.
Ein Mann, vielleicht der Inhaber, stürzte sofort um die Theke herum auf ihn zu. »Was willst du hier?« schrie er. Sein Gesicht verzerrte sich vor Erregung. »Bist du verrückt? Raus hier! Du stinkst mir den Laden voll!«
»Ich will den Anzug im Fenster. Den Seidenanzug«, sagte Tawan ruhig.
»Was willst du?«
»Den Seidenanzug. Den weißen.«
Der Geschäftsinhaber wandte sich keuchend an die drei Angestellten, die starr hinter der Theke standen. »Werft ihn hinaus!« brüllte er. »Ich rufe die Polizei. Da ist ein Irrer ausgebrochen!«
Tawan war nicht aufzuhalten. Er stieß den Geschäftsmann mit einer einzigen Armbewegung zur Seite und trat an die Theke heran. Gleichzeitig griff er in die Hosentasche, holte ein Bündel Rupienscheine heraus und legte sie auf die Tischplatte.
Die drei Angestellten rührten sich nicht, aber ihre bösen Blicke milderten sich.
»Ich will den Anzug anprobieren«, sagte Tawan jetzt in einem herrischen Ton. »In welch ein Geschäft bin ich denn geraten? Mich wundert, daß Sie bestehen können bei einem solchen Benehmen Kunden gegenüber.« Er drehte sich um und blickte auf einen sprachlosen, verwirrten Geschäftsinhaber.
Kann man sich so irren? stand in seinen Augen. Ich hätte schwören können, daß es einer ist, der sonst auf der Straße schläft. »Sofort«, stotterte er und wich Tawans forderndem Blick aus. »Sofort, Sir. Ich hole den Anzug gleich aus dem Fenster. Ich glaube sogar, er hat Ihre Größe. Sie haben Glück, es ist ein Einzelstück. Das beste Stück, das ich seit langem im Geschäft habe.«
»Deshalb interessiert es mich ja auch.« Tawan wandte sich wieder der Theke zu. »Außerdem brauche ich dazu das passende Hemd, eine Krawatte, weiße Socken, weiße Schuhe.«
Jetzt kam Bewegung in den Laden. Ein Verkäufer kletterte ins Fenster und nahm den Anzug von der Puppe, ein anderer breitete Hemden aus, der dritte fragte: »Schuhgröße?«
Schuhgröße. Wer hatte sich jemals um Tawans Schuhgröße gekümmert? Er war bisher barfuß oder in Sandalen gelaufen, und die hatte er an einem Stand auf dem Markt anprobiert, bis er die richtigen gefunden hatte. Was sagt man nun? dachte er. Ich kann doch nicht antworten: »Das weiß ich nicht.« Er rettete sich in eine Arroganz, von der er glaubte, daß sie zu einem feinen Herrn paßte. »Das sehen Sie doch!« sagte er hochmütig. »Warum fragen Sie noch?«
Der Geschäftsinhaber geleitete Tawan selbst zur Umkleidekabine, reichte ihm den Seidenanzug und zog den Vorhang zu. Dann ging er schnell zu seinen drei Angestellten zurück. »Es gibt drei Möglichkeiten«, flüsterte er. »Entweder ist er ein verrückter Snob, der den armen Mann spielt, oder er ist ein kleiner Dieb, der einen guten Fang gemacht hat, oder er ist der Boss einer Bande und inkognito unterwegs. Und alle drei gehen uns nichts an – er ist ein Kunde und sonst nichts. Verstanden?«
Die Verkäufer nickten. Was man so alles erlebt! Die Welt ist voller Verrückter.
Tawan zog den Vorhang zur Seite und kam aus der Kabine. Seine Umwandlung war vollkommen. Der Seidenanzug schmiegte sich um seinen Körper, als sei er über ihn gegossen worden.
Tawan sah so elegant aus, so vollendet schön, daß der Geschäftsinhaber vor Begeisterung in die Hände klatschte. »Sir«, rief er enthusiastisch, »es ist, als hätte der Anzug auf Sie gewartet. Nur auf Sie! Keiner könnte ihn besser tragen als Sie. Es ist selten, daß ein Kunde so vollkommen in einen Anzug paßt. Das muß man festhalten. Erlauben Sie, Sir, daß ich ein Foto von Ihnen mache?«
»Nein.«
»Wie bedauerlich!«
Als Tawan das Geschäft wieder verließ, war er der vollendete feine Herr. Er hatte ohne Feilschen die unverschämt hohe Rechnung bezahlt, aber er ließ sich seine alte Kleidung
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