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Der verkaufte Tod

Der verkaufte Tod

Titel: Der verkaufte Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Slums. Kommt man ohne sie in Kalkutta nicht mehr aus? Ich muß mir das abgewöhnen, dachte er. Ich will doch ein anderer, ein neuer Mensch sein. Ich will doch weg aus der Gosse.
    Der Taxifahrer gab Gas, raste in Richtung Innenstadt und fuhr plötzlich etwas langsamer, als er an einer Straßenkreuzung einen Polizisten stehen sah.
    Tawan bemerkte das Zögern des Chauffeurs sofort und zog mit einem Ruck das Messer aus dem Armaturenbrett. Es ist unmöglich, ein höflicher Mensch zu sein, solange man so aussieht wie ich. »Fahr weiter und gib kein Signal!« sagte er drohend. »Ich steche dir die Klinge von hinten genau ins Herz. Glaub es mir, Freund. Ich habe nichts zu verlieren, aber du dein Leben.«
    Der Fahrer nickte, gab erneut Gas und raste an dem Polizisten vorbei über die Straßenkreuzung. Man hielt ihn nicht an – Autofahren ist in Kalkutta eine Art von versuchtem Selbstmord. Das ist man gewöhnt; auch der Polizist zuckt nur mit den Schultern. So viele Polizisten hat man gar nicht, um jeden wilden Autofahrer anzuhalten und zu bestrafen. Wer sich unbedingt zum Krüppel fahren will, soll es tun.
    Mit quietschenden Bremsen hielt das Taxi vor dem Einkaufszentrum in der Chittaranjan Avenue im Stadtteil Chawk. »Ist es recht so, Sir?« fragte der Fahrer ironisch.
    »Genau hier wollte ich hin«, antwortete Tawan zufrieden. Er öffnete die Wagentür, aber der Chauffeur hielt ihn am Hemd fest.
    Er wähnte sich sicher; Tausende von Menschen drängten sich auf der Straße und vor dem Einkaufszentrum. »Bezahlen! Bei hundert Rupien lass' ich dich laufen.«
    »Denk an mein Messer, Freund. Ich bin damit schneller, als du schreien kannst.«
    »Es sehen uns tausend Menschen zu!«
    »Was werden sie sehen? Einen schlafenden Taxifahrer, dessen Kopf auf dem Lenkrad liegt. Ehe sie begreifen, daß du tot bist, bin ich längst im Einkaufszentrum verschwunden. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe: Ich habe nichts mehr zu verlieren.«
    Der Fahrer war klug genug, kein Risiko einzugehen. Er ließ Tawan los, knurrte einen sehr unanständigen Fluch und stieß Tawan aus dem Wagen, als die Tür geöffnet war. »Irgendwo und irgendwann sehe ich dich wieder, Sohn einer Hure!« schrie er dabei. »Dann habe ich auch ein Messer, und ein längeres als deins!«
    »Du hast recht: Ich bin der Sohn einer Hure, aber trotz allem war meine Mutter eine ehrbare Frau. Ich lasse sie nicht beleidigen.« Tawan gab dem Taxifahrer einen Faustschlag ins Gesicht, warf die Tür zu und mischte sich unter den Strom der Menschen, die in das Einkaufszentrum drängten. Er schlenderte von Geschäft zu Geschäft, blieb vor den Damenmodenauslagen stehen, bewunderte die blitzenden Ringe, Armreifen und Halsketten der Juweliere, betrachtete die Ausstellungen der Möbelhäuser und die bunten Plakate der Reisebüros. Zehn Tage Hongkong. Direktflug nach London. Paris muß man erleben. Kreuz und quer durch Australien. Zauberhafte Südsee. Tawan konnte die Worte nicht lesen, aber die schönen bunten Fotos verstand er. Was es nicht alles gibt! dachte er. Wie schön ist die Welt außerhalb Kalkuttas! Ob ich sie einmal sehen werde, zusammen mit Vinja, wenn ich genug Geld verdient habe und wirklich ein reicher Mann geworden bin? Ich möchte alles erleben, bevor ich mich hinlege und eingehe in das versprochene Nirwana.
    Vor einem Herrenanzugsgeschäft blieb er lange stehen und betrachtete die Anzüge, die man Puppen übergezogen hatte, schöne Anzüge, elegant und modisch, dazu Hemden, Krawatten und Schuhe. In diesem Geschäft konnte man alles kaufen, was einen Herrn kleidete. Und mitten im Fenster stand eine Puppe und trug einen weißen Seidenanzug, und Tawan sah ihn lange an, sein Blick klebte an dem schimmernden Stoff, und sein Herz begann schneller zu schlagen.
    Das ist er! Von einem solchen Anzug hatte er geträumt. So etwas trugen die reichen Herren, bestimmt auch Dr. Banda oder der unbekannte Mensch, dem er seine Niere gegeben hatte. Es konnte sein, daß sie Maßanzüge trugen, gefertigt von den besten Schneidern Kalkuttas, aber dieser hier im Fenster war auch ein Meisterstück und würde aus einem Mister einen Sir machen. Ich muß ihn haben! Tawan Alipur, mit diesem Anzug ist die Zeit unter dem Holzdach an der Punjab National Bank vorbei!
    Er zögerte an der Tür und biß die Zähne zusammen. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er solch einen Laden betrat. Was sagt man, dachte er, wenn einen die Verkäufer kritisch musterten? Wie benimmt man sich? Sagt man: ›Ich will

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