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Der verkaufte Tod

Der verkaufte Tod

Titel: Der verkaufte Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einpacken und nahm sie mit. Nichts wegwerfen, hatte er in den Slums gelernt, irgendwann kann man alles wieder gebrauchen. Er winkte ein Taxi heran, und diesmal bremste der Fahrer sofort. Wieder wurde Tawan angestarrt, aber nicht, weil er ein Mann aus den Slums war, sondern weil der Taxifahrer nicht begriff, daß ein so vornehmer Herr sich in ein Taxi setzte und nicht einen eigenen großen Wagen mit Chauffeur besaß.
    Tawan setzte sich auf den Rücksitz. Ein Herr wie er saß nicht neben dem Fahrer.
    »Wohin, Sir?« fragte der Chauffeur.
    »Zur Punjab National Bank. Wissen Sie, wo das ist?«
    »Natürlich, Sir. In der Brabourne Road.«
    »Richtig. Halten Sie ungefähr fünfzig Meter vor der Bank.«
    »Wie Sie wünschen, Sir.«
    Die ganze Fahrt über malte sich Tawan aus, wie das Wiedersehen mit Vinja sein würde. Aber gleichzeitig verspürte er Angst, die in ihm hochkroch und sich in seinem Hals festsetzte.
    Wie war es Vinja in diesen zehn Tagen ergangen? Wie hatte sie gelebt? Hatte sie die Zudringlichkeiten geiler Männer abwehren können, oder hatte sie, angelockt von einer Handvoll Rupienscheine, nachgegeben und ihre Jungfräulichkeit verloren? Lebte sie überhaupt noch unter dem Holzdach, oder hatte man es ihr weggenommen? Wenn es das war, schützte ihn auch der Seidenanzug nicht vor einem Rückfall in die Slumzeit.
    Tawan tastete unter dem Jackett zu seinem Hosengürtel. Er fühlte den Griff seines Messers, das er im Bund trug, und wurde ruhiger. Von heute an wird alles anders, kleine Vinja, dachte er. Als erstes suchen wir ein Zimmer mit zwei guten Betten. Das ist das Startloch zum Rennen in das große Leben. Die dreißigtausend Rupien sind zwar schon geschrumpft, dieser Seidenanzug und alles drumherum hat mehr gekostet, als ich dachte, aber sehen wir es als ein Startkapital an, denn die Kleidung ist wichtig, wenn man beachtet werden will. Weißt du, was dieser Dr. Kasba gesagt hat, mein Kleines? Ich soll mir das Anfangskapital zusammenklauen. Kein schlechter Rat. So wie ich jetzt aussehe, ein Herr im Seidenanzug, wird keiner mir zutrauen, daß ich in die Tasche eines Touristen greife. Hunderttausend Rupien brauche ich, sagt Dr. Kasba. Das klingt wie ein Märchen, das können wir uns beide gar nicht vorstellen, aber mit meinen flinken Fingern müßte ich es schaffen.
    Er schrak aus seinen Gedanken auf, als das Taxi bremste.
    »Wir sind da, Sir«, sagte der Fahrer. »Fünfzig Meter vor der Bank. Ist es recht so?«
    »Genau richtig.«
    Tawan zahlte, gab großzügig zwei Rupien Trinkgeld, für ihn eine Verschwendung, für den Taxifahrer ein neuer Beweis dafür, daß gerade die Reichen auch die Geizigsten sind, und stand dann auf der Straße, seinem ehemaligen Revier. Der Polizist an der Ecke – er kannte ihn seit vier Jahren – sah an ihm vorbei und erkannte ihn nicht wieder; auch der Trödler, der wie immer vor seinem Laden saß, umgeben von handgehämmerten Messingwaren, hob nicht den Kopf von seinem kleinen Amboß, auf dem er Muster in eine große Messingschale trieb. Und dort hinten war die Bank. Er sah sein Holzdach an der Wand, und sein Herz begann wie rasend zu schlagen.
    Vinja saß wie immer vor dem Holzdach auf der Straße, eine zerschlissene Decke unter sich, und streckte den verstümmelten Fuß aus. In dem Blechteller neben ihr lagen ein paar Münzen. Es gab so viele Verkrüppelte in Kalkutta, die um ein Almosen bettelten – die meisten Menschen liefen an ihnen vorbei und sahen schon gar nicht mehr hin. Nur weil Vinja noch ein Kind war und ihre großen schwarzen Augen die Blicke auf sich zogen, fiel hin und wieder eine Münze in den Teller; gab jemand einen Geldschein, und das waren meistens Ausländer, steckte ihn Vinja sofort in den Ausschnitt ihres verblichenen Baumwollkleidchens. Die anderen Bettler auf der Straße kannten keine Skrupel, ihr die Scheine abzunehmen. Überleben, das war der einzige Gedanke in diesem Hexenkessel von Hunger und Gewalt, Elend und langsamem Sterben.
    Tawan blieb ein paar Schritte vor Vinja stehen und betrachtete sie. Unter dem dünnen Kleidchen zeichneten sich die Umrisse einer knospenden Brust ab, die Beine waren lang und wohlgeformt. Sie reifte früh heran – in zwei Jahren würde sie eine Schönheit sein wie ihre Mutter, die in diesem Alter schon als Kinderprostituierte das meiste Geld für die Familie Alipur verdiente. Wenn Tawan daran dachte, spürte er einen Druck auf seinem Schädel. Die Erinnerung, wie er mit seiner Schwester geschlafen hatte und sie seine

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