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Der verkaufte Tod

Der verkaufte Tod

Titel: Der verkaufte Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Geliebte wurde, war noch so frisch, als sei es im letzten Monat gewesen. In den Jahren nach Baksas Tod hatte er einige andere Frauen gehabt, aber die absolute, hemmungslose Lust, die er bei seiner Schwester gefunden hatte, gab es nicht noch einmal. Wie würde sich Vinja entwickeln? Ihr verstümmelter Fuß war kein Hindernis für die Männer, die ihren ganzen Körper besitzen wollten.
    Solange ich lebe, wird so etwas nicht geschehen, dachte Tawan. Du bist jetzt keine Bettlerin mehr, sondern eine Miss Alipur. Und niemand wird mehr die Zehenstümpfe sehen; du wirst extra für dich angefertigte Spezialschuhe tragen und damit gehen können wie jeder andere Mensch. Vinja, mein kleiner Liebling, dein Onkel Tawan wird alles tun, damit du ein besseres, glückliches Leben führst.
    Er kam langsam näher und stellte sich vor Vinja hin. Sie sah kurz auf, erkannte ihn nicht in dem weißen Seidenanzug und senkte wieder den Blick. Ein reicher Inder. Sie bereitete sich darauf vor, daß er mit einem Hundert-Rupien-Schein wedelte und sagte: »Komm mit! Wenn du's besonders schön machst, bekommst du noch mal hundert Rupien!« Und sie würde darauf antworten: »Gleich kommt mein Onkel, der dreht dir dein Gesicht auf den Rücken.« Das hatte bisher immer gewirkt.
    Sie starrte auf die weichen weißen Schuhe, die weißen Socken und die Hosenbeine des Seidenanzugs. Nun frag mich schon, dachte sie, oder geh weg. Du versperrst den anderen Leuten den Blick auf meinen verkrüppelten Fuß. Davon lebe ich, nicht vom Angeglotztwerden.
    Tawan holte tief Atem. Sie erkennt mich nicht, meine kleine Vinja erkennt ihren Onkel Tawan nicht. So vornehm bin ich geworden! Ein einziger Anzug verändert einen Menschen. Ist diese Welt nicht verrückt?
    »Vinja«, sagte Tawan leise, aber doch laut genug, daß sie wie unter einem Peitschenschlag zusammenzuckte, »ich bin es, dein Onkel Tawan.«
    Ihr Kopf zuckte hoch, ihre Augen starrten ihn an und waren rund und groß. Dann preßte sie plötzlich beide Hände vor den Mund und rief durch die Finger hindurch: »Du bist es wirklich, Onkel Tawan? Wie reich du aussiehst! Sind wir jetzt reiche Leute?« Sie stemmte sich hoch, fiel Tawan um den Hals und küßte ihn.
    Ein Ehepaar, das in diesem Augenblick aus der Punjab National Bank kam, blieb geradezu entsetzt stehen. Der Mann, offensichtlich ein Engländer, sagte laut und entrüstet: »Sie ist ja noch ein Kind und geht schon auf den Strich!« Und die Frau, etwas dicklich und in der schwülen Luft schwitzend, fügte hinzu: »Man sollte diese geilen Kerle einsperren.« Und zu Tawan gewandt: »Kinderschänder! Haben Sie gar kein Schamgefühl?«
    »Nein, Madam.« Tawan grinste sie breit an und hatte seinen Spaß daran, sie zu schockieren. »Wir sind hier in Kalkutta.«
    »Das wäre unter britischer Herrschaft nicht vorgekommen.« Der Engländer schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Ordnung auf der Welt mehr, meine Liebe.«
    Sie gingen weiter und würdigten Tawan keines Blickes mehr.
    »Wie reich du aussiehst!« sagte Vinja wieder und umklammerte Tawans Nacken. »Aber jetzt hast du nur noch eine Niere.«
    »Wenn ich sie pflege, reicht sie für das weitere Leben.« Tawan blickte auf seine bisherige Behausung: das schräge Holzdach an der Hauswand, die Plastikbahnen, die die Wände ersetzten, im Inneren die zerschlissene und vielfach geflickte, flache Matratze, gefüllt mit Gras und Stoffetzen, den Petroleumkocher, die eiserne Pfanne, den zerbeulten Kochtopf aus Aluminium, die Öllampe, die beiden fleckigen Decken, unter denen er schon mit Baksa, seiner Schwester und Geliebten, geschlafen hatte. Hier habe ich nun seit Jahren gehaust, dachte er, und war glücklich, ein festes Zuhause zu haben. Eine leise Wehmut kam in ihm auf, wenn er das alles sah und wußte, daß heute der letzte Tag seines alten Lebens war und morgen schon das neue begann. »Wie waren die zehn Tage, Vinja?« fragte er.
    »Ich habe fünfundzwanzig Rupien eingenommen, Onkel Tawan.«
    »Und hat dich kein Mann belästigt?«
    »Fünfmal. Ich habe ihnen gesagt, daß du gleich mit deinem Messer kommst. Da sind sie schnell wieder gegangen.«
    Tawan machte sich aus Vinjas Umklammerung los, trug die speckige Decke, auf der sie gesessen hatte, unter das Dach und zog den Plastikvorhang vor den Eingang. »Gehen wir«, sagte er. Seine Stimme klang wie verrostet. Das war nun der Abschied, bedrückend und schwer auf dem Herzen liegend.
    »Wohin, Onkel Tawan?«
    »Wir schlafen heute in einem Hotel.«
    »Man wird uns

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