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Der verletzte Mensch (German Edition)

Der verletzte Mensch (German Edition)

Titel: Der verletzte Mensch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
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touristischen Zwecken dienen, sondern der Neuorientierung und dem Aufbau einer kritischen Distanz zum eigenen Leben, dann sollte man wirklich möglichst anders reisen als man lebt. Die zweiwöchige Südamerika-Intensivtour ist für den Burn-out gefährdeten Manager genauso wenig sinnvoll wie der Rückzug ins Kloster für den unter gänzlicher Einsamkeit Leidenden.
    Wenn man an die Beschreibungen der langen Märsche über die von Lastwagen stark befahrenen Straßen des Jakobswegs in der glühenden Sonne Spaniens denkt, kommt man schnell zu dem Schluss, dass bei vielen die Sehnsucht, von daheim wegzukommen, weitaus stärker ist als die Bedeutung des Reiseziels. Doch nur weg zu wollen, ist zu wenig.
    Fazit: Reisen sind seit Jahrtausenden ein taugliches Mittel der Neuorientierung. Wenn wir akzeptieren, dass wir mit Reisen nicht den eigenen Problemen davonlaufen können, sind wir gut gerüstet. Manchmal reicht schon ein Wochenende Auszeit, um unsere innere Stimme besser hören zu können. Längere Reisen helfen, unser Leben und unsere Probleme mit mehr Abstand zu sehen. Unser neues Selbst finden wir dann hoffentlich, wenn wir wieder zu Hause angekommen sind.
     
    „In 20 Jahren werden Sie eher von den Dingen enttäuscht sein, die Sie nicht getan haben, als von denen, die Sie getan haben. Lichten Sie also die Anker und verlassen Sie den sicheren Hafen. Lassen Sie den Passatwind in die Segel schießen.
    Erkunden Sie.
    Träumen Sie.
    Entdecken Sie.“
    Mark Twain
    Mit Philosophie und Humor den Seelenschmerz lindern
    „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen“. So lautet der erste Satz von Marcel Prousts siebenbändigem Hauptwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Es geht darin nicht um die verloren gegangene frühere Zeit, sondern um die Suche nach der Vergeudung und den schmerzlichen Verlust von Zeit. Und vor allem geht es um Kränkungen und Seelenschmerz.
    Marcel Proust war ein Mensch, der keinerlei Geräusche ertrug, unter Banalitäten unsäglich litt, in den wärmsten Räumen immer nur mit Pelz am Tisch saß, lebenslang an Verstopfungen laborierte und im Alter von nur 51 Jahren unnötigerweise an einer Grippe starb. Allerdings war er begabt mit einem unvergleichlichen Scharfblick für die Marotten, die Nuancen und Feinheiten aller nur denkbaren sozialen und psychologischen Konstellationen. Es gibt wenig, dem sich der Mensch mit größerer Hingabe widmet als dem Unglücklichsein, und wenige, die das besser beschreiben können als Proust. Hätte ein böser Schöpfer uns nur in die Welt gesetzt, damit wir leiden, dann wären wir unserer Bestimmung bestens gerecht geworden. Wir sind wahre Meister des Leidens. Und es gibt ja auch wirklich genug Gründe, untröstlich zu sein: der langsame Verfall unseres Körpers und damit immer schwieriger zu realisierende Fleischeslust, die Unbeständigkeit der Liebe, die Untreue der Frauen, die Untreue der Männer, die Verlogenheit am Arbeitsplatz, die lähmende Routine des Alltags, die Undankbarkeit der Kinder, die nervende Einmischung der Eltern und vieles mehr.
    Angesichts dieser Wucht an Kränkungen sollte man annehmen, dass wir uns nichts sehnlicher wünschten als die sofortige und endgültige Auslöschung der eigenen Existenz. Alain de Bottons feinsinnige Einführung „Wie Proust Ihr Leben verändern kann“ ist amüsanter, kostengünstiger und vor allem ungefährlicher als viele Seminare und Heilslehren. Er zeigt uns auch, dass Humor ein schnell wirksames Mittel gegen seelisches Leiden ist. [42] Vor allem erspart er uns die Mühe, die 1,3 Millionen Wörter der „Suche nach der verlorenen Zeit“ auch wirklich selbst zu lesen. Dazu sollte man wissen, dass es im vierten Band einen Satz gibt, der, würde man ihn auf einen Papierstreifen übertragen, locker vier Meter Länge erreichte. Keine Sorge, diesen Satz erspare ich Ihnen.
    Alain de Botton hat eine Art Hausapotheke zusammengestellt, aus der sich allerlei Mittelchen zur Lösung der Probleme, die uns tagtäglich quälen, herausdestillieren lassen – etwa: „Wie man in der Liebe glücklich wird“, „Wie man seinen Gefühlen Ausdruck verleiht“, „Wie man erfolgreich leidet“, „Wie man Freundschaften pflegt“, aber auch „Wie man richtig liest“ und „Wie man ein Buch aus der Hand legt“. Am Ende relativiert Alain de Botton sowohl seinen eigenen Ansatz wie auch das Werk von Proust: „Das Lesen liegt an der Schwelle des geistigen Lebens, es kann uns darin einführen, aber es ist nicht dieses

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