Der verletzte Mensch (German Edition)
Wenn NLP von erfahrenen Trainern vermittelt wird, dann kann es Menschen durchaus helfen, neue Einsichten in ihre Probleme zu bekommen. In dem Augenblick, wo NLP versucht, sich als Universalphilosophie oder Do-it-yourself-Heilungsmethode zu verkaufen, muss es scheitern.
Kurz gesagt, das Grundproblem von NLP ist nicht so sehr die Qualität der Methoden, sondern sind die oft sehr unrealistischen Erwartungshaltungen, die geweckt werden. Haben Sie sich nicht auch schon manchmal gefragt, wo sich denn eigentlich all die hunderttausend charismatischen und ungemein positiven Menschen verstecken, die diese Seminare besucht haben? Das gilt selbstverständlich auch für andere Persönlichkeitsseminare.
Fazit: Persönlichkeitsseminare sind etwas für psychisch stabile Menschen, nicht für solche, die sich gerade in einer schweren Krise befinden oder Traumata durchmachen. Seminare können durchaus wichtige Impulse sein und stellen für viele den ersten Schritt dar, sich überhaupt einmal in Ruhe mit sich selbst auseinanderzusetzen. Durch Seminare kann man – glücklicherweise – Menschen nicht dauerhaft in ihrer Persönlichkeit verändern und – leider – auch nicht von ihren Ängsten und Leiden befreien. Lehren, die uns scheinbar die schnelle und schmerzlose Befreiung von unseren Verletzungen anbieten, sind Täuschungen und Illusionen. Auf unserem Weg zu unserem höheren Selbst gibt es keine echten Abkürzungen – nur Hinterhalte oder Sackgassen.
Der bitterböse Spruch von Karl Kraus über die Psychotherapie lässt sich auch auf viele andere Lehren anwenden, die glauben, das alleinige Heil der Menschheit entdeckt zu haben:
„Die Psychoanalyse ist jene Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.“
Fluchtfantasien – warum unsere Probleme treue Reisebegleiter bleiben, wenn wir in ferne Länder flüchten
Der These, dass Reisen die angenehmste Art ist, nach Verletzungen und Krisen neue Orientierung zu suchen, würde ich vorbehaltlos zustimmen. Ich möchte sie nur durch die Tatsache ergänzen, dass in Fällen, wenn wir aufbrechen, um unser Leben zu verändern, alle unsere Probleme als treue Reisebegleiter mit auf die große Reise gehen.
Ein kurzer eigener Erfahrungsbericht: Seit meinem 18. Lebensjahr wollte ich einmal in meinem Leben tibetische Klöster besuchen und die alten Pilgerpfade gehen. Im Jahr 1993 nutzte ich eine akute Lebenskrise, um mir diesen Wunsch zu erfüllen. Das Erste, was ich nach der Ankunft in Tibet merkte, war, dass meine Selbstzweifel und meine Einsamkeit in der dünnen Luft des Himalaya-Gebirges besonders intensiv spürbar waren. „Wer durch Reisen klüger werden will, darf sich nicht selbst mitnehmen“, hat schon Sokrates erkannt.
„Einmal im Leben möchte ich den Jakobsweg gehen.“ Diesen unausgesprochenen Wunsch vieler Deutschen kleidete Hape Kerkeling mit viel Gespür und Humor nach einem Selbstversuch in Worte. Der Megaerfolg seines Buches „Ich bin dann mal weg“ hängt jedoch sicher nicht nur mit seiner Prominenz und seinem Schreibtalent zusammen, sondern traf offensichtlich die tiefe Sehnsucht vieler Deutschen, einmal dem Alltag zu entfliehen und auf unbekannten Pfaden in fernen Ländern das eigene Selbst neu zu entdecken beziehungsweise zu erlaufen. Sie liegen damit heute durchaus im Trend. Das war nicht immer so – im Jahr 1970 gab es 68 (!) offiziell registrierte Pilger. Die Anzahl der Pilger am Jakobsweg stieg dann rasant von 25.179 im Jahr 1997 auf 114.026 im Jahr 2007. Die Pilgerreise ist der Bruch mit der Alltagswelt mit dem Zweck der Erreichung eines heiligen Zieles. Wenngleich nur ein geringer Teil der Pilger heute religiöse Motive hat, die Hoffnung auf Erneuerung gehört zur Pilgerfahrt wie zu jeder Reise. „Dieser Weg ist hart und wundervoll. Er ist eine Herausforderung und eine Einladung. Er macht dich kaputt und leer. Restlos. Und er baut dich wieder auf. Gründlich“, [41] resümiert Hape Kerkeling nach den rund 800 Kilometern Fußmarsch.
Das wesentliche Reisemotiv ist der Wunsch, die Ordnungsstruktur des Alltags zu verlassen, um in eine andere, bessere Wirklichkeit einzutreten. Reisen akzentuiert die Wahrnehmung der Zeit neu und schärft deswegen unsere Sinne. Die Vorbereitungen, Um- und Neugewöhnungen, die mit jeder Reise verbunden sind, die Befreiung von vielen üblichen Verpflichtungen sind daher tatsächlich eine gute Chance, sein Lebensgefühl zu erneuern. Doch Vorsicht: So wie wir leben, so reisen wir. Soll die Reise daher nicht nur traditionellen
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