Der verletzte Mensch (German Edition)
zeigte, dass jene Kinder, die sich nach immateriellen Werten sehnten, langfristig in ihrem Leben glücklicher und zufriedener waren also solche, die nach kaufbaren Dingen strebten. Csikszentmihalyi ist der festen Überzeugung, dass Materialismus und übersteigertes Konsumdenken für Kinder absolut schädlich sind. Die hohe Anziehungskraft, die Marken auf Kinder ausüben, kommt von ihrer Sehnsucht, Teil von etwas zu sein, wo dazugehören zu wollen. Ein Bedürfnis, das in vielen Familien leider keine Erfüllung mehr findet. Wenn Kinder das Gefühl haben, nicht geliebt zu werden, versuchen sie schon sehr früh, sich Ersatz für diese Liebe zu kaufen.
Denn glücklicherweise haben wir eine noch stärkere Antriebskraft in uns – die Sehnsucht, geliebt zu werden. Und wir wissen auch, dass wir uns alles kaufen können, nur nicht die Liebe. Erst wenn Menschen den Glauben an die Liebe verloren haben, beginnen sie, entweder ihr ganzes Leben der Anhäufung von Geld, Macht und Ruhm zu widmen oder sie umgeben sich mit hohen Schutzwällen und leben in stiller Resignation – doch die brennende Sehnsucht nach Liebe können sie damit nie löschen.
„Ich werde nie wieder irgendwelchen Männern vertrauen. Sie haben mein Leben dominiert und meinen Glauben an die Liebe ausgerottet. Wenn man zu viele negative Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht hat, sei es in der Beziehung oder in der Freundschaft, fängt man irgendwann mal an, andere nicht mehr so nah an sich heranzulassen, man baut möglichst viel Distanz auf. Diese Distanz soll uns vor neuen Enttäuschungen schützen, obwohl man nicht weiß, wie das neue Gegenüber wirklich tickt, was natürlich sehr schade ist. Man macht die Möglichkeit einer neuen Liebe selber kaputt. Ändern kann man es nicht so leicht. Wenn der Stachel der Verletzung erst mal sitzt, sitzt er tief. Ich fürchte mich davor, dass ich meine Einstellung nie ändern werde, denn zu groß ist der Schmerz. Es tut jetzt noch weh. Es wird wahrscheinlich für immer wehtun.“
Eine schonungslose Innenschau einer Frau. Diese Zeilen sind herausgefischt aus den unendlichen Tiefen des Webs. Wie hängen unsere Angst vor der Verletzung und unsere Sehnsucht nach Liebe zusammen? Wir verstecken alle unsere geheimen Verletzungen, weil wir glauben, nur wir hätten dieses Geheimnis. Würden wir uns öffnen, würden wir erkennen, dass alle das gleiche Geheimnis teilen – die Angst, sich dem anderen zu öffnen und wieder verletzt zu werden.
„Du fragst nach einer Rose –
lauf vor den Dornen nicht davon.
Du fragst nach dem Geliebten –
lauf vor dir selbst nicht davon.“
Rumi, „Das Lied der Liebe“
Nur ein verletzbares Herz kann ein liebendes Herz sein. Wenn wir uns unseren Verletzungen nicht stellen, verbauen wir uns den Zugang zur Liebe. Für den Psychotherapeuten Werner Pitzal kann der tiefere Sinn einer Paarbeziehung sogar darin liegen, einander dabei zu helfen, die eigenen Verletzungen zu heilen. [2] Wenn wir das Vergangene dagegen immer wieder durchleben, werden wir zu Sklaven unserer selbst. Angst und Liebe, Schuldgefühle und Liebe, Hass und Liebe können nicht nebeneinander existieren. Wir können niemanden ändern, wir haben nur die Möglichkeit, unsere eigenen Gedanken zu ändern. In unserem Kopf gibt es Gedanken, die uns verletzen oder die uns helfen können. Nur wir können entscheiden, welchen wir Macht geben. Diese Wahl kann uns keiner abnehmen. Wir haben Angst, uns zu verlieren, obwohl wir nur gewinnen können.
Die positiven Kräfte, die die Liebe freisetzen kann, sind weit größere als die verheerende Macht der Gier – sonst gäbe es die Menschheit nicht mehr. Die „Schule des Herzens“ ist eine Schulung darin, nicht der Gier oder der Angst zu verfallen, sondern der Sehnsucht der Liebe nachzugeben. Das ist keine Alles-odernichts-Entscheidung. Es geht nicht darum, alle seine materiellen Bedürfnisse zu unterdrücken, das wäre auch völlig unrealistisch. Auch ein wohlhabender und erfolgreicher Mensch kann ein liebender sein. Die erste Lektion in der „Schule des Herzens“ ist, die tiefe Sehnsucht, ein etwas besserer Mensch zu sein, in sich selbst zu wecken.
Hätte ich die Aufgabe, eine „Schule des Herzens“ an einem festen Ort zu errichten, wäre David Steindl-Rast der bestmögliche Direktor. Und ich würde ihn ersuchen, zu lehren, wie man sein Herz öffnen kann. Denn nur ein offenes Herz kann glücklich sein. Ein offenes Herz wird aber auch immer ein verletzbares sein. Mihaly
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