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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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unbändig wogend, und dann, in dem einen, kurzen, rauschenden Moment jenseits der Klippe, über die sie hinausschossen, wie schwerelos. Ein zitterndes Schweben, ehe die Wasser über eine Meile tief zu Tal stürzten. Nichts, kein hurtiges Laufen, kein Galoppritt auf einem Pony, kein haltloses Rutschen über steile Hügel mit Schlitten im Winter dünkte ihm seitdem schneller zu sein als diese rasende, wild tobende Flut der eiligen Bäche und Flüsse des Hüggellands. Doch der jetzt unter ihm vorbeihuschende Wiesengrund erschien ihm noch weitaus schlimmer. Das Trommeln der Vogelbeine war so gewaltig, dass die einzelnen Bewegungen vor seinen Augen verschwammen.
    Dann brach es schlagartig ab.
    Die plötzliche Stille war furchtbarer als alles vorherige. Die eben noch vorbeiwirbelnde Marschwiese kippte nach unten weg.
    Finns Atem setzte aus. Sein Magen hob sich. Seine Beine, die eben noch mitgeschleift worden waren, fielen nach unten. Immer noch hing er allein mit der linken Hand an dem zweiten Knoten, mit dem der Ledir die Axt an den Sattel gebunden hatte. Der Criarg schrie erneut, aber diesmal klang es befreit und befriedigt, als wüsste er mit tödlicher Sicherheit, dass es nur eine Frage derZeit war, bis Finns Kräfte versagten und er seinen Griff würde lösen müssen.
    Wir fliegen!, dachte Finn entsetzt. Und dann: Ich werde sterben! Ihm drohte es schwarz vor Augen zu werden.
    Wenn er jetzt losließ, war es um ihn geschehen.
    Schon schwebten sie zu Seiten der höchsten der Wipfel, erklommen die doppelte, die dreifache Höhe und kletterten weiter, während die Schwingen schwer klatschend auf und nieder fuhren. Die Baumkronen wurden zu getupften Flecken. Inseln, die in dem Grau des Bodennebels schwammen.
    Nicht, weil er es wollte, sondern weil sein Blick von dem Leuchten des Karbeols angezogen wurde, starrte Finn auf das nutzlose Schwert in seiner Hand. Als sei er kein Vahit, sondern eine von dem Anblick des Glimmens gefangene Motte, die ihren Blick nicht mehr abwenden konnte.
    Steck es ein!, hämmerte die Stimme in seinem Innern. Steck es ein und halt dich fest!
    Irgendwie schaffte er es, die Klinge einhändig in die Scheide zurückzustoßen, ohne sich dabei zu verletzen. Und eben noch rechtzeitig! Schon wollten ihm die Finger der anderen Hand versagen. Er spürte, wie sie abglitten. Mit einem Stöhnen und einem Ruck, in dem alle seine Kräfte aufbegehrten, brachte er die jetzt freie Rechte herum und krallte sich fest.
    Mit beiden Händen umklammerte er nun den Knoten.
    Aber das linderte seine Not nur geringfügig. Nur für wenige, keuchende Atemzüge. Er spürte einen Krampf in seiner linken Schulter nahen. Ein Zittern, ein das Kreuz durchzuckender Schmerz.
    Der Criarg schrie und reckte seinen Kopf nach oben.
    Noch steiler ging es hinauf.
    Finn, der an der linken Flanke des Tieres hing, fühlte, wie seine Beine nach hinten gerissen wurden. Seine Füße stießen mehrfach gegen die auf- und niederfahrenden Knochen des linken Flügels. Und damit nicht genug: Der Stiel der Axt, nur noch von einemBand gehalten, pendelte hin und her, wodurch sich das scharfe Klingenblatt neben ihm auf und nieder bewegte und ihm das Gesicht zu zerschneiden drohte. Für einen winzigen Moment sah er sein angstverzerrtes Gesicht, das sich in dem metallenen Halbmond spiegelte.
    Ich muss hinauf! Nur hinauf!
    Doch dazu musste er den Knoten loslassen!
    Wenn er auf den Rücken des Vogels wollte, so musste er sich an der Lederkante des Sattels Hand über Hand nach oben ziehen. Das Leder war rau, das spürte er, aber seine Hände waren feucht von der Anstrengung, und so getraute er sich nicht, seinen Griff zu lösen.
    Da bekam eines seiner pendelnden Beine zuerst einen Schlag und dann einen unverhofften Halt; sein Fuß stieß in das nachgiebige Gefieder oberhalb des Flügelknochens. Er verhakte sich darin, vielleicht auch an einem Sattelgurt oder was immer es sein mochte.
    Dankbar spürte Finn die sofortige Erleichterung.
    Jetzt, da sein Gewicht nicht allein mehr an den Armen zerrte, gewann er neuen Mut. Er tastete nach der Sattelkante, fasste zu und zog. Es ging, Fingerbreit um Fingerbreit nur, aber es ging. Schon konnte er ein Knie auf den Flügel schwingen. Er griff um und zog sich erneut ein Stück nach oben.
    Das ganze Bein. Hand über Hand und Fuß über Fuß.
    Nach einer weiteren, ihn endlos dünkenden Anstrengung lag er schließlich bäuchlings in der für ihn viel zu breiten Ledermulde, die den Sattel bildete. Die kurzen Beine rechts wie links

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