Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
Vom Netzwerk:
um ins Flache zu kommen. Etwas Schwärzliches ragte vor ihm unmittelbar am Ufer auf, wie der Hügel eines Ameisenhaufens, allerdings bedeutend größer; und als ihm das Wasser nur noch bis zu den Knien reichte, erkannte er in dem vermeintlichen Haufen den Kahn des Furtlerwirtes. Sein Rumpf war von Axthieben förmlich zersiebt.
    Noch hatte er nicht ganz das Ufer erreicht, als der Criarg wiederkehrte. Lautlos strich der Raubvogel dicht über das Wasser, den Schnabel vorgestreckt, kaum mehr als ein Schatten auf den dunklen Wellen   – und er schoss geradenflugs von hinten auf Finn zu.
    Es war eine Ahnung, die Finn veranlasste, sich umzudrehen; ein Kribbeln im Nacken, ein Frösteln, das von innen kam. So eben noch wurde er sich der drohenden Gefahr bewusst   – und doch zu spät, um irgendetwas Überlegteres zu tun, als Maúrgin blank zu ziehen und die Klinge hilflos vorzustrecken, als böte ihr bloßer Anblick Schutz.
    Er wusste es nicht, aber es war nicht der Anblick des Schwertes, sondern vielmehr der singende Klang, mit dem Maúrgin aus der Scheide fuhr, der Finns Angreifer verunsicherte. Das und das schlammverklebte Auge trübten die Sinne des Tieres. Schnabel und Klauen zischten heran und an Finn vorbei. Sie verfehlten ihn buchstäblich um Haaresbreite; aufspritzend landete der große Vogel im seichten Wasser. Wildes Flügelpeitschen wirbelte weitere Gischt auf; der Krummschnabel zuckte vor, und Finn ließ sich täuschen.
    Er hatte mit einem hackenden Hieb gerechnet, nicht aber miteinem stumpfen Stoß. Die Wucht des Schnabelrückens traf seine Brust und warf ihn von den Beinen. Er fiel rückwärts der Länge nach hin und der Kopf geriet sofort unter Wasser. Er schluckte es, spuckte aus und schluckte wieder. Er konnte nur noch Schlieren sehen und ein dumpfes Gurgeln und Klickern von Wasser und Flusskieseln hören.
    Eine Klaue erfasste sein rechtes Bein und hielt es eisern fest; die andere nagelte seinen linken Arm in den Flussgrund. Jetzt, in diesem Augenblick oder im nächsten, musste der mächtige Schnabel herabsausen, dachte Finn, während um ihn herum die Räuschel kochte.
    Nahezu bewegungsunfähig und halb ertrunken tat Finn das Einzige, was ihm blieb. Wahrscheinlich gab es da irgendwo über ihm   – in der Mitte zwischen den Klauen, unsichtbar im schäumenden Wasser   – eine Stelle, an der sich der Vogelleib befinden musste. Wo sich ein Leib befand, so würde darin ein Herz schlagen. Wer lebt, dachte er verschwommen, hat ein Herz. Und wer sich ein Herz nimmt, der lebt weiter. Also nimm dir ein Herz, Finn! Oder du bist tot!
    Mit letzter Kraft stieß er Maúrgin hinauf, blindlings nach oben.
    Er spürte jähen Widerstand, verstärkte seinen Druck. Er tobte wie ein Wahnsinniger, schob und drückte und stach und stieß. Plötzlich oder endlich oder nach einer Ewigkeit gaben die Klauen beides frei, ließen Arm und Bein fahren, waren und hielten nicht mehr.
    Finn fuhr auf, brachte seinen Mund über Wasser, doch er konnte nicht atmen. Zu viel Wasser verstopfte ihm Kehle und Lunge, und alles Luftholen geriet zu einem entsetzlichen Schmerz in seiner Brust, der ihn schier zerriss. Er fiel oder sank; ob es sein vollgesogener Mantel war oder der Rucksack, die eigene Kraftlosigkeit oder am Ende die Summe aus alledem, blieb unbeantwortet. Das Glucksen in seinen Ohren wurde dumpfer, und dann war gar nichts mehr.

8. KAPITEL
An der Grenze
    U NSÄGLICHE G EWICHTE SAMMELTEN SICH auf seiner Brust, türmten sich zu hohen Lasten, hoben sich und fielen umso schwerer auf ihn hernieder. Immerzu, und abermals. Stechender Schmerz wurde zu flammender Pein, die alles versengte. Ein Feuer, das in ihm loderte, das in ihm brodelte, als sei er selbst ein Cerenath, ein Glutsteinberg, dessen Gluten immer höher und höher stiegen, bis der Druck unhaltbar anwuchs und sich endlich, endlich Bahn brach durch   … durch was? Offenbar durch seinen eigenen Schlund. Heiß und bitter schoss es durch seine Kehle, und er erbrach sich in einem nicht enden wollenden Schwall. Wasser sprudelte ihm aus Mund und Nase, und über seinem Würgen hörte er jemanden jämmerlich keuchen, und es brauchte eine Weile, bis er merkte, wer da keuchte. Er selbst.
    Jemand hielt seinen Kopf. Finn erkannte zu seinem großen Erstaunen Circendil über sich. Der Vindländer lächelte. Als habe er unverhofft etwas zu sehen bekommen, an das er schon nicht mehr geglaubt hatte.
    »Sei ohne Sorge«, sagte der Medhir, als Finn auffahren wollte. »Lieg still. Du lebst. Und

Weitere Kostenlose Bücher