Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
die Reste des Kaninchens in ein Tuch, steckte beides in seine Tasche und sah den Vahit fragend an.
»Na gut«, antwortete Finn, ohne mit dem Streicheln aufzuhören. »Dann will ich ihn Inku nennen.«
»Inku? Fleck? Ein seltsamer Name für einen Hund.«
»Ja, schon. Aber ich habe ihn im Schatten gefunden, wo er nicht mehr war als ein matter Fleck. Und da auch sein Fell dunkle Flecken hat wie Asche … Ich denke, Inku passt zu ihm.«
»Also Inku. Nimm noch eine Decke von hier mit, wenn du eine finden kannst. Ihr Geruch wird ihm vertraut sein und ihm Trost spenden in kalten Nächten. Und nun komm. Wir haben eine wichtige Frage zu klären.«
»Welche Frage?« Finn entdeckte tatsächlich in einer Ecke hinter einer Truhe eine auf dem Boden liegende Decke voller Haare, wahrscheinlich der Schlafplatz der beiden Hunde. Er setzte den Welpen ab und rollte den Stoff zusammen, ohne dass Inku dabei erwachte. Dann nahm er beides auf den Arm und ging zur Tür. »Welche Frage?«, wiederholte er.
Der Davenamedhir löschte die Kerze mit den Fingern und steckte sich den Stumpen ein.
»Wo sind die Gidrogs geblieben, Finn? Sie haben den Wirt und zwei weitere Vahits erschlagen. Wozu? Wenn es ihre Absicht war, den Broch und damit die Furt zu besetzen, so hätten sie eine Wache zurücklassen müssen. Hier ist aber niemand. Das meinteich, als ich sagte, meine Rechnung ergäbe nur anderthalb. Etwas stimmt hier nicht.«
Damit schob er Finn mitsamt dem schlafenden Inku zur Tür hinaus.
Die vier Ponys der Gefährten warteten unter dem knarrenden Wirtshausschild, aber Mellow und Bholobhorg waren verschwunden.
Der Mond hing schon weit und tief im Westen, und der Broch warf einen langen Schatten den Hang hinunter. Sie traten ins Licht und riefen mehrmals. Erleichtert atmeten sie auf, als Mellow antwortete. Die beiden Vahits kamen um den Broch herumgelaufen.
»Wir haben etwas gefunden«, berichtete Mellow. Er steckte sein Wacala zurück in die Scheide.
»Was ist geschehen?«, fragte Circendil.
»Was Ekliges und Widerliches«, ergänzte Bholobhorg. »In dem Schuppen da.«
Er führte sie um den Broch herum, wo eine hölzerne Hütte stand, die schon bessere Tage gesehen hatte. Halb lehnte sie sich an die Steinmauer, halb klammerte sie sich an ihr fest. Was immer man auch über Bhremo Kannin vielleicht sagen mochte, dachte Finn, seine Gebäude jedenfalls hält er nicht in Ordnung. Der Broch war ungepflegt gewesen und Wände und Böden rauer, als sie sein sollten. Der Schuppen stand gar gänzlich vor dem Zusammenbruch. Gebogene Balken und allenthalben Löcher im Bretterwerk, durch die ganze Mäusefamilien hätten huschen können. Eine windschief in den Angeln hängende Tür stand offen, und Finn sah Blutflecken am Holz und auf den moosbewachsenen Steinen, die einen Weg markierten.
»Da drin liegt er«, sagte Bholobhorg tonlos.
Circendil warf Mellow einen fragenden Blick zu, doch der winkte beruhigend ab. »Ein toter Gidrog. Von ihm geht keine Gefahr mehr aus. Aber es haftet etwas Merkwürdiges an ihm.«
Als sie eintraten, sahen sie, was er meinte.
Der Gidrog bot einen nur noch erbarmungswürdigen Anblick. Das echsenhäutige Hauergesicht war schmerzverzerrt und im Todeskampf erstarrt, der Körper an den ungeschützten Stellen übersät mit tiefen Bisswunden. Die rechte Hand bildete nur noch ein Gewimmel aus Fleischfetzen, aus denen die Knochen hervorlugten. Sein Bauch unterhalb des Lederharnischs war aufgerissen, Gedärme quollen hervor, die er mit der linken Hand hatte aufhalten oder zurückdrücken wollen; und auch auf dem behaarten und schuppigen Rücken zeigten sich Spuren wütend zupackender Zähne.
Der Gidrog war verblutet. Aber auch sein Axtdornschwert war blutverschmiert.
»Ich beginne zu verstehen.« Circendil richtete sich auf. Dann berichtete er kurz, was sie im Broch vorgefunden hatten. Am Ende sagte er: »Das hier ist der Wachtposten, den ich vermisste, Finn. Jetzt geht meine Rechnung auf. Dieser Gidrog wurde hier am Furtlerbroch abgestellt, um den Turm, der er für sie ist, zu bewachen. Das heißt, sie werden zurückkommen, und das kann jeden Augenblick geschehen. Die anderen gingen oder flogen zunächst fort, zu welchem Zweck, vermag ich nicht zu sagen. Die Hündin ihrerseits floh, als sie noch zu mehreren waren; aber als nur noch einer von ihnen blieb, kehrte sie zurück und versuchte, ihr Junges zu schützen, wenn es noch lebte; oder es aus dem Broch zu befreien, falls es dort festsaß.
Sie beschloss, den Fremden zu
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