Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos María Domínguez
Vom Netzwerk:
den zähen, leeren Tagen, die darauf folgten, und als Nina einige Zeit später wieder bei ihm auftauchte, in der Hoffnung auf Vergebung, schrieb Waldemar:
    »Nicht, dass ich ihre Eitelkeit nicht tolerieren könnte, was ich nicht ertrage, ist die Inkonsequenz ihrer Eitelkeit. Sie macht mich wahnsinnig. Immer hat es mich wahnsinnig gemacht, wenn sich jemand nicht treu sein kann. Aber wenn ich an Wanda denke, an die Gründe, aus denen mein Neffe teilnahmslos die Rolle spielt, die ihm meine Schwester aufgedrückt hat, dann sage ich mir, dass wir Hansens unter Gehorsamswahn leiden. Da muss nur jemand, der uns wichtig ist, an eine Fähigkeit glauben, die wir nicht besitzen, und wir verbringen unser Leben damit, sie uns anzueignen. Er muss nur ein Talent verachten, das wir sehr wohl besitzen, und niemals werden wir es befördern. Jedenfalls habe ich einen Großteil meines Lebens damit verbracht, anderen Leuten etwas zu beglaubigen, bloß, weil ich für meine Mutter vertrauenswürdig sein wollte. Aber der Moment ist gekommen, Dir zu sagen, dass ich alles andere als vertrauenswürdig bin. Das Schild an dem Kreuz war rostig, aber noch zu lesen: R.I.P. Gabino Pereira, gestorben am 23. August 1945. Seine Angehörigen widmen ihm dieses Andenken.
    Ich habe es in den Müll geworfen.«

Drei
    Auf der Rückfahrt von Rivera hatte Hansen den Umweg über Minas de Corrales genommen, das alte Wasserkraftwerk besichtigt, war ins Dorf gegangen, ums Denkmal von Francis Davison geschlendert, dann zum Lokal des Gesellschaftsclubs und anschließend zum Friedhof. Am späten Vormittag habe ein Mann, schrieb er, in der Ecke mit den Grabnischen Portlandzement mit Sand vermischt, das grelle Licht des Nordens sei an den getünchten Mauern abgeprallt, er habe eine Reihe Krypten hinter sich gelassen und sei zwischen den Gräbern herumgelaufen.
    Viele fühlen sich von Friedhöfen angezogen, besonders von denen auf dem Land, wo sie die Toten nicht kennen. Die Sonne vergilbt die Fotos, der Wind reißt die Blumen fort, und die Kreuze ragen aus der Erde wie Lettern. Ein Privileg, das die Städte nicht mehr bieten, wo das Sterben ein Problem geworden ist. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe einen Toten im Schrank. Die Freundin, die mir ihre Wohnung überließ, ist nach New York gegangen und hat oben links die Asche ihres Vaters eingeschlossen. Bestimmt wäre dem Mann ein schönes Grab in derSonne lieber gewesen, mir wäre es das, aber das bekommt man heute nur noch schwer. Die Friedhöfe sind überfüllt, die Grabnischen schießen in die Höhe wie Mietskasernen, und jeder, der in der Erde bestattet wird, muss in fünf Jahren weichen. Bleiben kostet Geld. Es ist billiger, in Rauch aufzugehen. Früher fürchtete man die Götter, jetzt das Geld. Deshalb blicken viele mit einer Spur Neid auf die ländlichen Gräber und ziehen dann weiter. Doch Waldemar verweilte länger, er schrieb, dass die Kreuze dem Gras so aufrecht entwuchsen wie die Blumen, und als er ein schiefes hatte gerade rücken wollen, hielt er es auf einmal in der Hand. Er wog es, streichelte das Eisen, blickte sich um und steckte es unter sein Sakko.
    »Sicher denkst Du, Brunos Krankheit hatte damit zu tun«, schrieb er an Verónica. »Ich weiß nicht. Aber ich gestehe, als ich durch das Gittertor ging, fragte ich mich, was Bruno zu dem Satz sagen würde, den ich kurz vorher unter einem Denkmal gelesen hatte, ›alles, was war, existiert‹. Den Beweis dafür hatte ich, wie mir schien, vor Augen: all die Männer und Frauen unter der Erde, in Erwartung ihrer Auferstehung.«
    Kaum las ich, wie dankbar Waldemar das Kreuz an der Wand über dem Kamin hängen sah, da fiel mir wieder ein, dass ich damals nicht begriffen hatte, was im Markusdom geschehen war. Mir schien, dass ich jede Interpretation verwerfen musste, die nicht das Werk und seine Erhabenheit in den Mittelpunktrückte, denn das Kunstwerk konnte, wie er gesagt hatte, allein durch seine Schönheit und Wahrhaftigkeit in sich selbst ruhen. »Mir gefiel der schnörkellose Besatz, den der Schmied mit Hilfe von Eisenklammern angebracht hatte, mit dem Hammer um die Spiralen an den Kreuzarmen gebogen. Der Rost darauf hatte schon oft seine Farbe verändert und Flecken hinterlassen, mal ocker, mal dunkel, ohne sich ins Eisen zu fressen, so dass der Zerfall noch immer um die Vormacht kämpfte und dem Kreuz eine gewaltsame Note gab, sah man vom hölzernen Fuß ab, den die feuchte Erde hatte vermodern lassen. Deshalb lief es, wie gesagt, in einen Pfeil

Weitere Kostenlose Bücher