Der verlorene Freund: Roman (German Edition)
unteren Ende ist ein Bolzen aus verfaultem Holz, seitlich abgeschrägt, der wie ein Pfeil aussieht. Der Rest besteht aus Gusseisen, Rostflecken, zwei Spiralen an jeder Seite. Die Nietnägel sind Handarbeit und halten alles zusammen. Das sage ich Dir, wohlgemerkt, bei meinem dritten Glas, ich bin zweiundsechzig geworden, und Nina ist mit Brunoins Bett gegangen. Das hat sie mir gestern Abend gestanden, unter Tränen und wirren Worten, die ich Dir erspare, weil es mich einfach nicht überraschen will, dass ich so distanziert zugehört habe, wie sie den Rotz herunterschluckte und um Verzeihung bat. Als sie ging, war sie weniger besorgt, mich zu verlassen, als zwei alte Freunde zu entzweien.«
Bestimmt hatte Hansen Bruno nicht zum ersten Mal erwähnt, aber damals beschwor er die gemeinsame Zeit an der Universität herauf, als Bruno immer gesagt hatte, er wolle nicht zum Rabengeier werden. Er werde kein Aas fressen wie die Rabengeier. Nein, nicht einmal, wenn sein Vater ihm Würmer vorsetzte. Waldemar hatte miterlebt, wie er sich zunächst für die kommunistische Partei engagierte, stehend in eine Arrestzelle pinkelte, in ein Flugzeug nach Washington stieg, mit Wanda einen Strauß-Walzer tanzte und dann fett und grau wurde, und doch hatte Bruno niemals seiner kategorischen Art des Neinsagens abgeschworen: »und wenn man mir die Eier mit Engelshaar abschnürte«. Er war nicht nur mit einem Anwaltstitel zurückgekehrt, sondern hatte ein Vermögen geerbt, das ihn in die Geschäftswelt katapultierte. In wenigen Jahren wurde er zum Golfspieler und Liebhaber von Investitionen, Immobilien und Frauen. Waldemar hielt sein Interesse an der Kunst für einen Vorwand, um Geld zu verlieren. Er musste einen Teil seiner Gewinne waschen, doch Wanda verhinderte nicht nur, dass er sie verlor, sondern mehrte sie durch eine stetig wechselnde Kunstsammlung. Ohne sie hätte Bruno kein einziges Bild im Gedächtnis behalten oder höchstens wegen der reizvollen Frau des Mannes, der es ihm verkauft hatte.
Ich kann nicht sagen, ob Nina Bescheid wusste, dass man bei ihm, bevor er dem Krebs erlag, einen Knoten in der linken Lunge gefunden hatte, er sich jedoch keinesfalls einem invasiven Eingriff aussetzen wollte und das Geheimnis mit Waldemar teilte. Wanda wusste nichts, ebenso wenig sein Sohn Marcelo, ein Junge, der sich zu sehr an die Intelligenz der Mutter hielt, als dass ihn Brunos Schmeicheleien hätten täuschen können, der ihn zu allen möglichen Abenteuern ermunterte. »Er ist schon immer ein großzügiger, starker, vitaler Mensch gewesen«, sagte Hansen, »gewohnt, zu nehmen, was er brauchte, wenn er es brauchte, und doch hätte ich nie gedacht, dass er sich mit Nina einlassen würde.«
Sie lernten, das Schweigen bei den Familientreffen von da an mit einem Kreuzfeuer von Scherzen zu füllen, die etwas schärfer gerieten als sonst, denn sie wussten, dass ihnen keine Zeit mehr bleiben würde, etwas ins Lot zu bringen. »Nicht einmal herfallen konnte ich über ihn, weil es für Bruno nichts weiter zu erklären gab, sein Abschied von allen Vergnügen war zum Greifen nah, es war ein vergeblicher Trost, und im Grunde war alles mit dem Geheimnis gesagt, das wir beide seit Monaten wahrten. Er ging,und ich blieb, mehr nicht. Das fand er ungerecht, er hatte dieses Los nicht mehr verdient als die Alten auf den Plätzen, die Witwen von Pocitos, all die Leute, die bloß um des Fortlebens willen fortleben. Eines Abends sagte er mir, er werde mein Schweigen dankbar mit sich nehmen, wohin auch immer. Wir befanden uns im Wohnzimmer, Wanda deckte den Tisch, und aus Angst, sie könnte zuhören, wusste ich nicht, was antworten.«
Kurz darauf kam Bruno ins Krankenhaus, direkt auf die Intensivstation. Ich weiß nicht, wie Hansen diese Monate erlebte. Seine Mails wurden rar und ausweichend. Ein paar Nächte leistete er ihm Gesellschaft, auch wenn Bruno sich kaum mitteilen konnte. Nina durfte nur als Waldemars Freundin zu ihm und sah ihn als solche in der Klinik, bis sie so unbedacht war, zu weinen, und Wanda ihr Besuchsverbot erteilte. Über unerfindliche Kanäle hatte sie von der Affäre erfahren und das Gesicht gewahrt, bis sie ihr Weinen hörte. Schreiend warf sie sie hinaus und sorgte dafür, dass Krankenschwestern und Wachen aller drei Schichten sie nicht mehr durchließen.
Womöglich verstellte sich Waldemar gegenüber Verónica, wollte nicht bekennen, was schwerer zu verwinden war, Brunos Verrat oder Ninas, aber er berichtete ihr von dessen Tod, von
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