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Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos María Domínguez
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gehabt: man muss an den anderen glauben, nach wie vor. Ein Busfahrer bringt uns um, wenn er über dem Steuer einschläft. Wie einfach kann man einen beliebigen Passanten überfahren, das Wasser vergiften, einen Angestellten bestehlen, beim Tauschen betrügen. Odysseus steht Pate dafür. Und nur deshalb wird es nicht zur Regel, weil die meisten darauf bauen, dass die anderen an sie glauben. Ein Provider, die Internetseite, auf der man seine Kreditkartennummer eingibt, der Mann von der Imbissbude, der Autor des Don Quijote , alle appellieren an unseren Glauben. Die Wörter lügen, weil sie die Wahrheit sagen. Wenn wir nicht an ihre Wahrheit glaubten, könnte niemand uns täuschen.
    Das ist keine Entschuldigung. Ich hatte Verónicas Vertrauen missbraucht und verfluchte die Stunde, da ich Hansens Elektronenhirn an mich genommen hatte. Ich zog es aus der Steckdose, trug es die Treppe hinunter, und bevor ich bei einem Spaziergang meinen Kopf auslüften wollte, warf ich es in den Müllcontainer an der Ecke. Als ich eine Stunde später zurückkam, war es immer noch da, und ich nahm es wieder mit hinauf. Asche und Mikrochips, nun ruhen schon zwei Tote in meinem Schrank. Mehrere Tage lang versuchte ich, mich abermals in Boswells Buch zu vertiefen, wanderte ziellos umher, rauchte zwei Päckchen täglich, aber immer wieder bestürmten mich dieselben Fragen, zu jeder Uhrzeit, und hielten mich bis zum frühen Morgen wach. Was hatte er getan? Worüber hatte er sich geschämt? Ich musste etwas tun, und als ich es leid war, ins Leere hinein zu spekulieren, bat ich um einen Termin bei Doktor Castro. Er vertrat mich, wie gesagt, bei meiner Scheidung, und ich hoffte auf sein Verständnis.
    Als ich vor ihm saß, sagte ich offen, was mich umtrieb: Warum hatte Waldemar ihn konsultiert? Castro wusste nicht, dass er sich umgebracht hatte, und wollte Genaueres hören, zeigte sich danach jedoch weniger gesprächig, als ich gehofft hatte. Unaufhörlich klingelte das Telefon, und als er keine Anrufe mehr durchstellen ließ, fragte er, ob ich ein Angehöriger sei. Ich sagte, wir hätten uns in seinem Wartezimmer kennengelernt, und er nestelte ohne Not anseinem Revers. Das gefiel mir nicht. Er lehnte sich im Sessel zurück, faltete die Hände und fragte, ob ich in letzter Zeit sehr beschäftigt gewesen sei.
    Bislang hatte ich ihn für einen höflichen Menschen gehalten, nicht sonderlich intelligent, aber durchaus imstande, mit den Ansprüchen fertig zu werden, die meine Frau auf den Gegenwert einer Bibliothek erhob, die schon seit langem nicht mehr existierte. Er wirkte professionell und jung genug, um auf den Gedanken zu kommen, ich suchte etwas, womit ich mich beschäftigen könnte, also schwieg ich, und wir blickten uns einige Sekunden lang an. Da seine Zeit wertvoller war als meine, erzählte er mir schließlich, dass Hansen die Zulassung entzogen worden war. Er hatte am obersten Gerichtshof dagegen geklagt und war abgewiesen worden. »Ich hoffe, mein Scheitern hat nicht zu seiner Entscheidung beigetragen«, fügte er hinzu, während er seinen Kugelschreiber in die Sakkotasche steckte. Ich wollte den Grund erfahren, aber den wollte er nicht verraten. »Fragen Sie Wanda«, riet er mir, nachdem er aufgestanden war. »Seine Schwester weiß Bescheid.«
    Nun hatte mich Wanda zum zweiten Mal überrascht. Ich verließ die Kanzlei mit der Absicht, sie anzurufen, aber als ich die Passanten sah, den Stau auf der Straße, die Schaufenster, fiel mir wieder der weiche Händedruck ein, mit dem sie mich an der Haustür verabschiedet hatte, und ihr Interesse an dem Fussel auf der Schürze der Hausangestellten.Also ersparte ich mir lieber eine Enttäuschung. Ich wanderte die 18 de Julio hinauf, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite, überquerte die Plaza Cagancha, ging vorbei an den kleinen Vorhängeschlössern der Fuente de los Candados, an dem David- und dem Gaucho-Denkmal, immer weiter, denn ich musste unter Menschen sein, als könnte ich nur denken, wenn ich mich an ihren Kleidern rieb. »Es erstaunt mich nicht, dass er sein einziges Delikt gegen sich selbst begangen hat«, waren Wandas Worte gewesen, aber warum hatte man ihm die Zulassung entzogen? Beides passte nicht zusammen, sofern sie mich nicht belogen oder man ihn irrtümlich vom Dienst ausgeschlossen hatte.
    Fast unbewusst war ich bis zum Obelisken gelangt und wandte mich Richtung Plaza Varela, um zu Fuß nach Hause zu gehen und an diesem dumpfen Sommerabend meine Unruhe in der Ermüdung zu

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