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Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos María Domínguez
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könnte er sich nicht entscheiden, ob er sich verstecken oder gesehen werden wollte. Er könne mir eineFreundin besorgen, sagte er, und zum Friedhof gehe es vorbei am Krankenhaus, dann um die Ecke Richtung Tacuarembó. Er sei schon lange nicht mehr dort gewesen, bezweifle aber, dass man ihn verlegt habe.
    Sein Blick und seine langen Beine schienen eine Art Verwegenheit zu erproben, und womöglich verwarf er mehrere Sätze, bevor er sich für einen entschied. Die Nase bahnte sich ihren Weg in einem hageren Gesicht, und die Augen, versunken unter den Brauen und dem Mützenschirm, wanderten von einer Straßenseite zur anderen. Er musste bei der Hotelrenovierung helfen, obwohl ihm das mit den flachen oder runden Steckern gar nicht lag. Fußball und Tanzen, das liege ihm, und wenn ich Gesellschaft wolle, betonte er noch einmal, er wisse, wo er sie beschaffen könne. Dann bat er mich um eine Zigarette und steckte sie sich hinters Ohr. Wir trennten uns vor dem Arbeiterclub, Jonathan gab mir die Hand, und ich ging den Hügel hinauf, Richtung Polizeirevier und Krankenhaus, dankbar, auf der leeren Straße wieder ein Lüftchen zu spüren. Weiter oben wichen die Häuser zusehends dem Gestrüpp und dem Brachland, auf dem sich alte Maschinen, eine verkohlte Karosserie, ein Traktorrad, eine alte Abzugshaube häuften. Das Krankenhaus wirkte allzu gewaltig für die bescheidene Größe des Dorfs, ein paar Ecken weiter begann ein freies Feld, an dessen Ende die weiße Friedhofsmauer ihren leuchtendenKubus mitten in die Ebene zeichnete. Dass ich hier auf Hansens Spuren ging, war ein Stück Vergangenheit, an das ich mich klammerte, denn während ich die öde Fläche überquerte und daran dachte, dass ich ein Grab suchte, hatte ich das Gefühl, ein Irrtum lenke meine Schritte, und auf die Frage, was ich in Corrales verloren hatte, hätte ich keine Antwort gewusst. Irgendwoher kamen Hunde, taten so, als wären sie nicht interessiert daran, auf welchen Ort ich zusteuerte. Manchmal liefen sie voraus, blickten sich um, ob ich auch folgte, nahmen ihren Weg wieder auf, dankbar, eine Aufgabe zu erfüllen und sich dann zu zerstreuen, weil nichts davon ihre Angelegenheit war.
    Als wir eintrafen, schlüpften die beiden kleineren durch das Gitter, blieben stehen und sahen zu, wie ich an dem Schloss rüttelte. Kein Schild verriet die Öffnungszeiten, und weit und breit kein Wärter. Ich erspähte nur ein paar Krypten, die Mauer mit den Grabnischen, wenige Grabplatten und ganz hinten, dem Wetter ausgesetzt, das Feld mit dem Unkraut und den Eisenkreuzen. Hansen hatte seine Beute viele Meter weit schleppen müssen oder sie über die Mauer geworfen und nachher aufgelesen. Es war schwer, sich das vorzustellen.
    Ich nahm mir vor, am nächsten Morgen wiederzukommen, und machte mich auf den Rückweg, ging am Krankenhaus vorbei, dessen Dachgesims gerade von der Sonne vergoldet wurde, dann amPolizeirevier, und weiter unten führte mich der Billardlärm zum Arbeiterclub. Durch das Fenster zur Straße sah man einen Raum mit zwei Pooltischen, dahinter schloss sich eine Galerie an, die am Ende von einer Holztheke begrenzt wurde. Links führten mehrere Bögen zu einem Theater oder einem Veranstaltungssaal mit Bühne samt einem Vorhang in verschossenem Rot, der in Fetzen hing. Die Einheimischen sammelten sich um die Tische in der Galerie, im Radio spielte Musik, die Billardkugeln klackten, und ein dichtes Gewebe von Stimmen mischte Spanisch und Portugiesisch in einem Singsang, der die Betonungen abstürzen ließ, um sie gleich wieder aufzufangen.
    Der Wirt brachte mir ein Bier, ich war dankbar für den kühlen Schluck, und kaum hatte ich meinen Blick ein wenig wandern lassen, saß schon Jonathan mit einem Freund bei mir am Tisch. Sie hatten die Queues abgegeben, nachdem ihnen ein Junge auf die Schulter getippt hatte. Sein Begleiter hatte krauses Haar und bewegte tonlos die Lippen, legte jedoch seinen Arm über meine Stuhllehne und streckte die Beine von sich, während Jonathan mir gegenübersaß und mit einem Finger über die Tischdecke kratzte, die Augen immer noch hinter dem Mützenschirm verborgen. Als die Frau im Türrahmen erschien und entschlossen hereinkam, war es aus mit meiner Illusion, nicht weiter aufzufallen.
    »Ihr zwei da, he, ihr Mistkerle«, sagte sie, währendsie auf uns zuging, das Haar zusammengebunden, die Arme verkrampft.
    »Der Heiland soll euch verfluchen. Die Muttergottes bespucken, was habt ihr mit Teresa gemacht?«
    »Nichts, gar nichts«,

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