Der verlorene Freund: Roman (German Edition)
das sei die alte Luftbahn, die das Quarz von Corrales zum Wasserkraftwerk transportiert habe, die hätten die Franzosen errichtet. Ich fragte, welche Franzosen, aber er hörte nicht oder wollte es nicht erklären, und ein paar Kilometer weiter, als sich ein Schaufelstiel schon beinahe in meine Nieren gebohrt hatte, setzten sie mich an dem breiten Lehmweg ab, der zum Bergwerk San Gregorio führte. Kaum war ich abgestiegen, hüllte mich der Pick-up in eine Staubwolke, und der alte wie der junge Mann hoben den Arm, ohne sich umzublicken. In der Ferne wurde Erde geschaufelt, ein trockener Wind trug das Geräusch von Lastwagen herüber, die auf menschenleeren Dämmen hin und her fuhren. Ich ging am Straßenrand weiter. Die Gegend schien sehr hoch zu liegen, aber der rissige Wegwand sich noch weiter hinauf ins Nirgendwo. Bald hielt ein Lastwagen ein paar Meter vor mir an und brachte mich dem Dorf ein Stück näher.
Minas de Corrales besteht aus einer Allee, die unter dem Namen Francis Davison an zehn Querstraßen vorbeiführt, an einer Tankstelle, einem Gesellschaftsclub und der Apotheke »Doctor Davison« (vis-à-vis dem Davison-Denkmal), dann biegt das Asphaltband rechtwinklig ab, eine Böschung hinunter in Richtung Arbeiterclub, Polizeirevier und Krankenhaus und verliert sich schließlich auf einem Hügel. Kein Dorfplatz, keine Kirche am Platz. Eine Handvoll Häuser am Asphaltrand, an einem Abhang errichtet, der von alten Bergwerkstollen durchbohrt ist, mehr haben zweihundert Jahre Goldabbau nicht zurückgelassen. Aber damals unter der Mittagssonne wusste ich fast nichts davon. Ich umrundete den Monolithen auf der Suche nach dem Satz, den Hansen im Krankenhaus zitiert hatte, und fand ihn auf der Rückseite. Da standen die vier Wörter in Eisenlettern, stumm und verrostet, ein offenes Geheimnis. Jetzt musste ich nur noch eine Fährte suchen, die mich mit etwas Glück auf den Kreuzweg meines Freundes führen würde, und dem Beispiel des Hundes folgen, der im Schatten der Apothekenmauer den Kopf auf die verlassene Straße schmiegte.
Vier
»Der falsche Stecker«, wiederholte der Mann, ohne den Jungen anzusehen, der sich am Kopf kratzte, die Mütze in der Hand. »Einen flachen wollte ich«, schimpfte er hinter dem halb zusammengebauten Kühlschrankmotor. Als er mich erblickte, hielt er mitten in einem Fluch inne, während der Junge seine Mütze zerdrückte. Ich war einem Schwein ausgewichen, hatte einen offenen Hof überquert, von dem mehrere baufällige Zimmer abgingen, und die Rezeption erreicht, wo der Hausherr verbissen damit beschäftigt war, alles Mögliche zu reparieren oder, wer weiß, zu ruinieren. An diesem Mittag hatte er sich die Küche vorgenommen, und mit derselben Feindseligkeit, mit der er mir mitgeteilt hatte, die Herberge werde renoviert, scheuchte er ein paar Gänse zur Seite und führte mich zum einzigen Zimmer, das zur Verfügung stand, ein Holzverschlag hinter dem Haus mit einem Fenster, das auf ein leeres Gelände blickte. In der Ferne sah man die Berghänge und noch weiter hinten den blauen, versengten Himmel, an dem kein Vogel flog. Ich hatte ihn für mich einnehmen wollen, aber jetzt war der Mann noch verärgerter, undso ging ich hinaus auf die Straße, zündete mir eine Zigarette an und wartete auf den Jungen.
Die Sonne machte sich an ihren Abstieg und die Einheimischen daran, die Gehwege mit Stühlen, Kindern und Hunden zu füllen. Aus dem Lokal des Gesellschaftsclubs gegenüber drang ein Gewirr von Stimmen und brasilianischer Musik, und immer, wenn ein Motorrad vorüberfuhr, hüllte sich die Luft in rote Staubpartikel, die im Licht hingen wie schwebende Überreste einer Explosion. Bewegung war in den Straßen, aus einem Garten kam der Duft nasser Erde, und der Asphalt, die Mauern, die Alleebäume verbreiteten einen trockenen Hauch, bei dem sich die Haut zusammenzog und die Kleider steif wurden.
Als der Junge herauskam, gingen wir gemeinsam zur Ecke, wo die Allee abbog und an einem unbebauten Grundstück mit einem verbogenen Riesenrad vorbeiführte. Ein Schuppen stand daneben, und Schuppen wie Rad neigten sich in zäher Eintracht nach rechts. Jonathan hatte gerade die Volksschule abgeschlossen und wollte fort nach Rivera. Er hatte einen Onkel jenseits der Grenze in Livramento, die Illusion, bei Frontera zu spielen, und als Grundstock seiner dreizehn, vierzehn Jahre ein Paar Turnschuhe mit Leuchtsohlen. Alle zwei, drei Schritte zog er den Schirm seiner Mütze tiefer und hob den Kopf, als
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