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Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos María Domínguez
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also die Tür zum Arbeitszimmer an, öffnete sie jedoch nach kurzem Zögern wieder und ging in die Küche, um einen Blick auf die Bücher zu werfen, die sich auf dem Sessel stapelten. Da lagen ein Band mit Oden und Episteln von Horaz, ein paar billige Krimiausgaben,ein geografischer und ein historischer Atlas, ein altes Handbuch über Dieselmotoren, Freuds Traumdeutung, ein Buch über Bergbau, an die zwanzig Klassiker sowie unzählige Bände des Almanachs der staatlichen Versicherungsgesellschaft. Nichts, was mich zuverlässig zu Beppos Innenleben geführt hätte. Ich schloss die Vordertür wieder, machte mich zum Friedhof auf, beunruhigt davon, was Jonathan zur Entführung des Mädchens bewegt haben mochte.
    Ich hätte nachfragen sollen, bevor ich das freie Feld überquerte, denn kaum hatte ich das Krankenhaus hinter mir gelassen, fiel wieder die Hitze über mich her, doch unter der erdrückenden Sonne behielt ich trotz leichtem Delirium mein Ziel im Auge, nur um den Friedhof erneut geschlossen vorzufinden. Es schien töricht zu sein, Hansens Vergangenheit in den Überresten eines Grabes zu suchen, das nicht mehr zu identifizieren war, und doch lehnte ich mich ans Gitter und vermisste die Hunde, die zu dieser Stunde sicher unter den Bäumen lagen. Ein Lastwagen hüllte mich in Staub und entfernte sich hügelabwärts über den Damm, der zur Landstraße führte. Ich folgte ihm in der Annahme, dadurch schneller ins Dorf zu gelangen, nahm aber einen endlosen Umweg über öde, gewundene Straßen, so fern von jedem Schatten, dass ich fürchtete, in Ohnmacht zu fallen.
    Als ich die Herberge betrat, balancierte der Inhaber gerade ein Brett auf der Theke und tastete nach der Hosentasche, wo sein Handy klingelte. Ich hieltdas Brett für ihn, mit einer Gebärde des Dankes entfernte sich der Mann ein paar Schritte und sagte, noch nicht, aber er werde ihn anhören, werde hinübergehen, sobald er mit der Arbeit fertig sei. Dann half ich ihm, das schwere Brett herunterzuheben, er reichte mir ein Glas Bier und bot mir einen Platz auf ein paar Säcken Portlandzement an.
    Er wusste, dass ich zum Friedhof gegangen war, und fragte, ob dort Verwandte von mir lägen. Beim Sprechen beugte er sich nach vorn und blickte mich nicht an, ließ seine müden Augen durch den Raum wandern, als hätte er seit dem frühen Morgen getrunken. Bestimmt war mein Zusammenstoß mit der Zigeunerin bereits in aller Munde, doch der Mann bezog sich auf meinen heutigen Ausflug, und ich antwortete, er sei geschlossen gewesen. Dann schien er aufstehen zu wollen, griff jedoch nur nach einem Bolzen auf dem Boden.
    Die Sonne verweilte vor zwei zerlegten Motoren auf den Fliesen, vor Kautschukresten, Trennwänden und Werkzeugen, die uns unter dem kurzen, monotonen Quietschen des Deckenventilators umgaben. Er schien den Fliegen zuzuschauen, die gegen die Fenster zur Straße und gegen die rissigen Wände torkelten, in der Gewissheit, in eine Falle geraten zu sein.
    »Arbeiten Sie allein?«, fragte ich.
    »Eigentlich sollte der Junge helfen«, sagte er, »aber wie soll man sich auf so einen Esel verlassen?«
    Ich nahm an, dass er sich über die Herberge ärgerte, über Jonathan und über mich und kaum glauben würde, dass ich einen Bekannten in Corrales hatte.
    »Er taucht sicher jeden Moment auf«, sagte ich voll Zuversicht.
    »Wissen Sie, ich muss mich um ihn kümmern, er ist der Sohn meines Bruders. Aber wenn ich in Ihrem Alter und auf Durchreise wäre, ich würde nicht eine Münze auf den Jungen setzen. Bleiben Sie lange?«
    »Brauchen Sie das Zimmer?«
    »Das werden Sie schon rechtzeitig erfahren«, sagte er und erhob sich, setzte die Brille auf, griff zum Lötkolben und schleifte einen Gasballon zum Kühlschrank. Nach dem ersten Flammenstoß hielt ich es für ratsam, zum Mittagessen zu gehen. Ich überquerte die Straße und trat in den Gesellschaftsclub, etwas gediegener als der Arbeiterclub, mit Holztischen, einem großen Spiegel hinter der Bar und einem Ballsaal, in dem ein Kristalllüster hing. Eine Frau band gerade bunte Luftballons daran fest, eine andere blies Luftschlangen, und an zwei Tischen waren Stammkunden ins Kartenspiel vertieft, als ginge sie die Mittagsstunde, die Straße und die Zeit, die sie dort bereits saßen, nichts an. Keiner erwiderte mein Kopfnicken, doch wenn sie beim Spiel nicht an der Reihe waren, beobachteten sie mich beim Essen. Die Frauen hingegen scherzten und lärmten durch den Saal.
    Als ich den Club verließ, machte ich einen

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