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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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an ihn heranlassen, und er ist viel zu gerissen dafür.«
    »Lokesh würde sagen, daß Dolan, sofern er tatsächlich das Mädchen ermordet und den Diebstahl selbst arrangiert hat, von den Folgen seiner Sünde unausweichlich eingeholt wird.«
    »Demnach müßte ich warten, bis er als Käfer wiedergeboren wird, damit ich ihn zertreten kann. Ich würde es vorziehen, noch in diesem Leben für Gerechtigkeit zu sorgen.« Corbett blickte von seinem Becher auf. »Sie begreifen nicht, wer er ist. Falls es Dolan nicht in den Kram paßt, wie sein Müll abgeholt wird, ruft er beim Bürgermeister an.«
    »Ich kenne die Sorte sehr wohl.«
    »Stimmt, das habe ich ganz vergessen. Sie haben sich gegen sie gestellt und verloren. All die Jahre im Straflager.«
    »Ich würde es eher als ein Unentschieden werten. Immerhin bin ich noch am Leben.«
    Corbett sah ihn eindringlich an, als habe Shan ihm soebeneinen Vorschlag unterbreitet. Dann grinste er und lachte sogar laut auf. »Also gut. Wir haben Mr. Croft eine Überraschung mitgebracht. Jetzt müssen wir sie ihm nur noch zustellen.« Er stand auf, legte ein paar Geldscheine auf den Tisch und ging voran zum Wagen.
    Shan fing allmählich an, sich über den Regen zu wundern. In Peking war es meistens ziemlich trocken, und Tibet glich größtenteils einer Halbwüste. Ergiebige Niederschläge hatte Shan zuletzt als kleiner Junge erlebt, weil er und seine Eltern damals in der Nähe der Küste gewohnt hatten. Der amerikanische Regen – und ebenso die Regenwolken – besaß viele verschiedene Erscheinungsformen. Mal fielen wahre Sturzbäche vom Himmel, gleich darauf ein gemäßigter Schauer und in der nächsten Sekunde ein Nieselregen, der eher an dichten Nebel erinnerte. Einmal kam dermaßen starker Wind auf, daß das Wasser waagerecht gegen die Scheiben gepeitscht wurde. Corbett schien keine Notiz davon zu nehmen, sondern fuhr mit gleichbleibender Geschwindigkeit aus der Stadt hinaus und in ein Hügelgebiet, in dem große Häuser standen, die von hohen Zäunen und Metalltoren umgeben waren. Als hinter einer mehr als vier Meter hohen Ziegelmauer ein weitläufiger Backsteinbau in Sicht kam, den man direkt in den Hang gebaut hatte, verringerte Corbett das Tempo. Das Hauptgebäude war ungefähr sechzig Meter lang. Auf dem Grundstück befanden sich ferner eine breite Garage mit acht Toren, ein Gewächshaus und einige kleinere Bauten, die Shan nicht auf Anhieb identifizieren konnte.
    »Das sieht wie ein Krankenhaus aus. Vielleicht auch ein kleines College«, vermutete er.
    »Das ist der Tatort.« Corbett wirkte angespannt und schien wenig Lust auf ein Gespräch zu verspüren. Hundertfünfzig Meter hinter dem Tor hielt er am Straßenrand. Die Mauer des Anwesens knickte hier nach hinten in den dichten Wald ab. Der Amerikaner deutete auf einen hohen Baum, der unmittelbar an der Mauer wuchs und sechs oder sieben Meter von der Ecke entfernt stand. »Die Freunde des Mädchens haben ausgesagt, daß Abigail manchmal, wenn sie es sehr eilig hatte, einfachihr Fahrrad dort angelehnt hat und auf den Baum geklettert ist, um über die Mauer zu gelangen. Bevor mein Boß sich eingemischt hat, habe ich außerdem mit Dolans Kindern gesprochen. Die beiden haben bestätigt, daß man an dieser Stelle über die Mauer kommt, ohne den Alarm auszulösen. Es war Abigails und ihr kleines Geheimnis.«
    »Aber warum ist sie ausgerechnet in dieser Nacht noch einmal zurückgekommen?«
    »Um einen Brennofen auszuschalten. Sie und die Kinder hatten an jenem Tag getöpfert. Das Atelier liegt im hinteren Teil des Geländes. Der Junge sagte, sie hätten vergessen, die Tongefäße aus dem Ofen zu nehmen, und er sei sicher gewesen, nur noch verbrannte Scherben vorzufinden. Aber als er dann nachsah, hatte jemand inzwischen den Ofen abgeschaltet und die Töpfe herausgenommen. Das College liegt nicht weit von hier, und Abigail hatte an dem Abend dort Unterricht. Sie ist noch einmal hergekommen und über die Mauer geklettert, um den Ofen auszuschalten. Dann hat sie etwas gesehen, das nicht für ihre Augen bestimmt war.« Er fuhr wieder los. Die Straße führte zurück zum Wasser.
    »Es gibt dafür keinen Beweis«, sagte Shan.
    »Es gibt sogar eine gegenteilige Aussage. Als ich das nächste Mal zum Haus kam, um mir den Schauplatz des Diebstahls anzusehen, hat Mr. Dolan mich extra aufgesucht, um mir mitzuteilen, er habe den Brennofen abgeschaltet.«
    Shan dachte nach. »Sie meinen also, seine Kinder haben ihm von dem Gespräch mit Ihnen

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