Der verlorene Sohn von Tibet
Blick wieder ab. »Ich habe gehört, es gäbe in Amerika viele Autos. Schnelle Autos. Hast du schnelle Autos gesehen?«
Shan war sich nicht sicher, ob er ihn richtig verstanden hatte. »Ich habe schnelle Autos gesehen. Und ich habe Kaffee getrunken. Die Menschen dort trinken viel Kaffee.«
Ko nickte ernst und hob den Hammer. »Ich habe noch nie Kaffee getrunken«, sagte er sehnsüchtig.
»Ich habe Flugzeuge gesehen, die größer als eine Armeebaracke waren«, sagte Shan. »Und es gab da einen kleinen weißen Kasten, der mit elektrischem Strom Konservendosen geöffnet hat.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht seines Sohnes, wichaber gleich wieder der Miene eines müden alten Mannes. Er ließ den Hammer auf die Scherben niedersausen.
Als Shan sich umdrehte, fügte Ko noch etwas hinzu, ganz leise und voller Qual. »Ich habe diesem Khan etwas aus Gold gegeben, eine dieser kleinen Figuren«, sagte er. »Kurz bevor er Punji umgebracht hat, habe ich ihm etwas aus Gold gegeben. Er hat gelacht und gesagt, ich sei genau wie er.«
Shan wandte den Kopf, aber Ko sagte nichts mehr und blickte auch nicht mehr auf. Er hämmerte wieder auf die Scherben ein und starrte nur noch auf den Boden vor seinen Füßen.
Im Gebäude ging Shan zum Konferenzraum und fand dort am Tisch Corbett und Yao vor. Der Amerikaner berichtete von ihrem Aufenthalt in Seattle.
»Dolan hat Ming aus seinem Flugzeug angerufen«, sagte der Inspektor, als Shan sich zu ihnen setzte. »Bis Dolan hier eintraf, hatte Ming dann bereits zusätzliche Ausrüstungsgegenstände organisiert. Die Hälfte seiner Arbeiter wurde nach Hause geschickt, die andere Hälfte tief in die Berge, wo sie ihm nicht in die Quere kommen können. Ein Lastwagen aus Lhasa hat Kisten mit irgendwelchen kleinen Maschinen angeliefert. Zu Ehren von Dolans Ankunft wurde sogar eine offizielle Begrüßungsfeier abgehalten, streng nach Zeitplan. Man hätte glauben können, der Parteisekretär sei zu Besuch.«
»Was für ein Zeitplan?« fragte Shan.
Yao verzog das Gesicht und reichte jedem von ihnen einen auf englisch und chinesisch beschrifteten Zettel. Ankunft auf dem Museumsgelände lautete der erste Punkt, dann Begrüßungszeremonie in Lhadrung , gefolgt von diversen Ansprachen und einer feierlichen Schenkung.
»Wer hat wem was geschenkt?« fragte Corbett.
»Dolan hat Punji McDowells Klinik einen Scheck gestiftet. Zehntausend Dollar. Er sagte, er habe voll Sorge vernommen, daß Miss McDowell in den Bergen vermißt werde, denn immerhin habe er sie gut gekannt und schon seit langem ihre Arbeit bewundert.«
Yao seufzte. »Als sie hierher zurückkamen, wartete einHelikopter auf sie. Sie waren gestern noch vor Einbruch der Dunkelheit in den Bergen.«
»Wir können uns mit einem Wagen bis ins Vorgebirge bringen lassen«, sagte Shan. »Mit Gepäck wird es dann noch einige Stunden dauern, bis wir Zhoka erreichen.«
Yao nickte. »Ich habe möglichst unauffällig einige Vorkehrungen getroffen, so gut es eben ging.«
»Ich möchte, daß Ko mitkommt«, sagte Shan.
»Es ist zu gefährlich«, protestierte Yao.
»Er wird nichts tun, das uns schaden könnte«, versicherte Shan.
»Lu und dieser Khan sind irgendwo da oben. Die beiden wissen, wer McDowells Ermordung mit angesehen hat. Corbett, Sie, ich. Und Ko.«
»Aber Sie haben einen Bericht eingereicht«, tastete Shan sich behutsam vor und dachte an Tashis Warnung. »Sie haben alles dargelegt. Corbett kann bestätigen, daß Lu bei Dolan angerufen und von diesem den Befehl erhalten hat, McDowell zu töten.«
»Das wissen wir nicht mit Sicherheit«, sagte Yao zögernd, als wolle er seinen Bericht revidieren. Dann seufzte er und senkte den Kopf. »Ich habe seitdem nichts mehr gehört. Ming ist nervös, weil Dolan so plötzlich hier aufgetaucht ist. Der Amerikaner hat mit Peking telefoniert, das hat Ming vom Minister persönlich erfahren. Danach hat Ming die Öffentliche Sicherheit beauftragt, unbedingt Surya aufzuspüren. Als Dolan hier ankam und Ming ihm die Funde aus dem Tal zeigte, wurde der Amerikaner wütend. Ich konnte nicht alles verstehen. Die beiden waren hier im Konferenzraum und hatten die Tür geschlossen. Ich glaube, Dolan war sauer, weil Ming die Funde öffentlich bekanntgegeben hatte, so daß die Zeitungen von dem alten Gewand und dem Jadedrachen wußten.«
»Weil er die Fundstücke für sich selbst wollte«, stellte Corbett mit bitterer Stimme fest.
Shan hatte Yaos letzten Sätzen kaum noch Beachtung geschenkt. »Hat man Surya
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