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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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gefunden?«
    »Ich glaube, die Soldaten suchen noch.«
    Eine halbe Stunde später stand Shan vor den Gebäuden der Kotsammler und beobachtete sie von der anderen Straßenseite aus. Mehrere der Karren waren von der morgendlichen Runde zurückgekehrt, und die Männer entluden die großen Tongefäße in fahrbare rostige Metalltanks, die man später auf die Felder südlich der Stadt ziehen würde. Eine Frau in zerlumpter Kleidung kam die ausgefahrene Straße entlang. An ihrer Hand ging ein drei- oder vierjähriges Kind. Als sie die Backsteinbauten erreichten, hielt der kleine Junge sich die Nase zu und wollte weglaufen, aber die Frau hob ihn auf die Arme und betrat das Gelände, wobei sie den Männern bei den Tanks nervöse Blicke zuwarf. Shan folgte ihr und konnte spüren, wie die Männer ihn grimmig musterten. Als er den kleinen Innenhof zwischen den Gebäuden erreichte, war niemand zu sehen. Seit seinem letzten Besuch hatte sich etwas verändert: Es hing ein schwacher Weihrauchduft in der Luft und mischte sich mit dem beißenden Gestank der Exkremente. Shan betrat den dunklen Stall und hielt inne, weil er kaum etwas erkennen konnte. Er hörte leise Stimmen, und es roch nun wesentlich stärker nach Weihrauch, aber im Schein des Tageslichts, das zur Tür hereinfiel, sah er bloß einige Strohbündel und einen Haufen aus zerbrochenen Tongefäßen.
    Plötzlich packte jemand seinen Arm. »Was willst du?« fragte eine barsche Stimme neben ihm. Er wandte den Kopf und sah einen der älteren Kotsammler vor sich, einen Mann mit faltigem Gesicht und einer zerbrochenen Brille.
    »Ich bin wegen des heiligen Mannes hier«, sagte Shan, und der Griff um seinen Arm verstärkte sich.
    »Er hat ihm neulich den Pinsel gegeben«, ertönte die Stimme einer Frau aus der Dunkelheit, und der Mann ließ ihn los. Shan spürte eine Bewegung in den Schatten, und dann schien die Finsternis sich vor ihm zu öffnen. Es war eine dicke Filzdecke, die man von Mauer zu Mauer aufgehängt hatte, um die hintere Hälfte des Stalls abzugrenzen. Hier saßen Tibeter jeglichen Alters, manche auf Strohmatten, andere auf dem nackten Erdboden. Linker Hand schwelte auf einem umgedrehten Eimer ein Weihrauchkegel, und an der Rückwand stand ein kleinerprovisorischer Altar mit sieben rissigen Porzellanschalen. Dazwischen saß Surya und malte. Der Verputz der Stallwand war mittlerweile fast vollständig mit Suryas leuchtenden Bildern bedeckt.
    »Sieh nur, das ist die Weiße Tara«, hörte er jemanden flüstern. Es war die Frau mit dem kleinen Jungen, und sie zeigte auf die zentrale Figur des Wandgemäldes, deren zarte Stirn mit einem dritten Auge versehen war. »Taras letzter Besuch in Lhadrung liegt schon viele Jahre zurück«, flüsterte sie aufgeregt. Der Junge verfolgte alles mit großen, staunenden Augen.
    »Kennst du ihn aus einer anderen Stadt?« fragte der alte Mann, der nun hinter Shan stand.
    »Aus einer anderen Stadt?«
    »Es heißt, er mache das in ganz Tibet. Er zieht von Stadt zu Stadt, sammelt die Exkremente ein und trägt Götter herbei. Manche der alten Heiligen hätten genauso gelebt, hat jemand erzählt.«
    Shan musterte die fragende Miene des Alten, schaute zu Surya und nickte langsam. »Wie ein Heiliger.«
    »Eine Woche lang hat er jeden Abend hier gesessen und seinen Pinsel und die Wand angestarrt, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Morgens ist er immer mit uns zur Arbeit gegangen, hat kaum etwas gegessen und sich dann wieder vor die Wand gehockt, als trage sie etwas Lebendiges in sich. Meine Frau glaubt, die Mauer müsse noch von dem alten gompa stammen, das es hier in Lhadrung einst gegeben hat. Als Bettler hatte er ein paar Münzen bekommen. Eines Tages brachte er Farben mit und fing an. Danach wurde er ein wenig gesprächiger, als habe sich in seinem Innern etwas gelöst. Er sagte, es müsse einfach getan werden und er würde den Göttern, die hier wohnten, lediglich Farbe verleihen. Von Tagesanbruch bis Mittag sammelt er auch weiterhin Exkremente. Er sagt, andernfalls würde er gar nicht wissen, wie man malt.«
    Eine alte Tibeterin drängte sich an ihnen vorbei und beugte sich zu Surya hinunter.
    »Meine Frau bereitet ihm zweimal am Tag eine Mahlzeit zu. Ich glaube, er würde sonst völlig vergessen, etwas zu sich zu nehmen«, sagte der Alte.
    Die Frau nahm Surya den Pinsel aus der Hand, half ihm auf die Beine und führte ihn weg, was er bereitwillig geschehen ließ. Die anderen Tibeter neigten sich dichter zu dem Gemälde vor, und Shan

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