Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
Zhoka und brachen schweigend nach Norden auf. Ko ließ sich ein Stück zurückfallen, als widerstrebe es ihm, erneut die Ruinen zu betreten. Trotz der sommerlichen Jahreszeit wehte ein eisiger Wind und heulte dermaßen laut, daß er fast alle anderen Geräusche übertönte. Er schien sie in Richtung Zhoka zu schieben, als rufe der alte Tempel sie zu sich. Sie waren noch etwa fünfhundert Meter entfernt und erreichten soeben den hohen Grat, von dem aus die Ruinen in Sicht kamen, als Corbett warnend eine Hand hob. Eine Gestalt eilte den Hang zu ihnen herauf, ein stämmiger Tibeter mit watschelndem Gang, als schmerze sein Fuß. Je näher er kam, desto langsamer wurde er, starrte sie verblüfft an, blieb schließlich stehen, nahm seine Mütze ab und verdrehte sie in den Händen. Es war Jara.
    »Wir dachten, ihr wärt weggegangen«, sagte er entschuldigend. »Ming und der reiche Amerikaner haben befohlen, daß alle Hirten und Bauern ihnen helfen müssen«, erklärte er.»Jemand hat euch gesehen, und da wurde ich geschickt, um euch zu holen. Die haben euch für Tibeter gehalten.«
    Shan ließ den Blick über die Landschaft schweifen. »Wer hat uns gesehen? Und von wo aus?« Sie waren gerade erst in Sichtweite gelangt.
    »In dem alten Steinturm sitzt ein Mann namens Khan mit einem Fernglas. Er hat die anderen über Funk verständigt.«
    Damit war ihre Aussicht auf einen Überraschungseffekt dahin. Corbett verzog enttäuscht das Gesicht, aber Yao wirkte zufrieden, als sei es ihm auf diese Weise ganz recht. Ko sah kalt und entschlossen auf die Ruinen hinunter.
    »Wer ist sonst noch dort?« fragte Shan.
    »Sechs Hirten. Der alte Lama. Meine Nichte und Lokesh. Dawa hat darauf bestanden, daß ich sie zu dem chorten zurückbringe. Liya war auch dabei, ist aber letzte Nacht geflohen. Danach ließ der Amerikaner diesen Khan mit einem Gewehr Wache halten.«
    »Gendun?« fragte Shan. »Gendun ist bei Dolan?« Er rannte los.
    Der Innenhof war in eine Operationsbasis verwandelt worden: Vor einer der Wände ragte ein großes blaues Nylonzelt auf, daneben mehrere Kistenstapel, und vor dem chorten hatte man eine Kochstelle errichtet. Dawa, die dort am Feuer hockte, stieß einen Freudenschrei aus und lief mit ausgebreiteten Armen Corbett entgegen.
    Dolan wandte ihnen den Rücken zu. Er stand an der hinteren Wand und betrachtete den leuchtenden Bildschirm eines kleinen, hochentwickelten Geräts. An einem schmalen Metallband, das quer über seinen Kopf verlief, waren ein einzelner Kopfhörer und ein Mikrofon befestigt, in das er derzeit eindringlich hineinsprach und dabei mit dem Finger ein Linienmuster auf dem Monitor nachzog.
    Gendun saß vor der Mauer und zeichnete etwas in den Staub. Lokesh hockte neben ihm, richtete sich beim Anblick von Shan aber besorgt auf. Gendun begrüßte Shan mit einem müden Nicken und widmete sich wieder seiner Zeichnung. Ko hielt inne und beäugte den Lama mißtrauisch. Shan erinnertesich, daß die beiden im Dunkeln bereits zusammengetroffen waren. Ko hatte Gendun für einen Geist gehalten.
    Eine Trillerpfeife ertönte. Dolan rief alle zusammen. Er blies noch einmal in die Pfeife und winkte die anderen zu sich. Shan dachte daran, daß Dolan in China schon mehrfach als Geldgeber und bisweilen auch als Leiter archäologischer Ausgrabungen fungiert hatte.
    »Wir haben eine Kammer entdeckt«, rief der Amerikaner auf chinesisch. »Exakt in der Mitte des gompa , unter dem Schutt, genau wie es nach unserer Theorie zu vermuten war.« Er klang selbstgefällig und triumphierend. »Ming!« rief er. »Wir können bei Sonnenuntergang drinnen sein! Sorgen Sie dafür, daß diese Leute …« Er verstummte abrupt, als er Shan und Corbett sah. Dann warf er das Headset auf den Tisch und marschierte direkt auf sie zu.
    »Sie sind wohl verrückt geworden, Agent Corbett«, schimpfte er. »Es dürfte recht amüsant werden, den beruflichen Selbstmord eines FBI-Agenten zu verfolgen.«
    Als sein Blick sich auf Shan richtete, lag kalte Wut darin. »Und Sie halten sich wohl für besonders schlau, Genosse Shan. Aber das ändert nichts«, sagte er abfällig. »Sie haben lediglich dafür gesorgt, daß ich den Schatz des amban nun auf jeden Fall finden werde.«
    »Es ändert alles. Sie sind jetzt hier«, sagte Shan mit weit ausholender Geste. »Es ist riskant, diesen Ort zu unterschätzen, und Sie haben ihn stets unterschätzt.« Er bemerkte, daß Dolan jemanden hinter ihm ansah und mit ausgestrecktem Finger auf ihn wies. Plötzlich spürte

Weitere Kostenlose Bücher