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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Shan Hände auf den Schultern. Es war Lu, der ihn abtastete. Als der Chinese fertig war, hob Corbett die Arme, um sich ebenfalls durchsuchen zu lassen.
    »Solange Sie hier sind, werden Sie sich unserem kleinen Projekt anschließen«, sagte Dolan, nachdem Lu bestätigt hatte, daß sie keine Waffen bei sich trugen. »Wir werden nun das Gewölbe öffnen.«
    »Dies ist ein altes Kloster«, sagte Shan. »Ein Ort der Andacht. Viele Menschen sind hier gestorben.«
    »Ganz zweifellos«, sagte Dolan mit kühlem Lächeln undbedeutete Gendun, er solle aufstehen. »Alle helfen, die Trümmer wegzuräumen!« rief er. Als der Lama nicht reagierte, stieß Dolan seine Beine mit dem Stiefel an. Gendun lächelte, als habe er ihn erst jetzt bemerkt, und stand auf.
    Nahe der Mitte des Ruinenfelds war Ming unterdessen damit beschäftigt, auf einer Segeltuchplane einen komplizierten Apparat abzubauen. Mehrere kleine Metallkanister waren mit langen Drähten verbunden und an eine Schalttafel angeschlossen worden, aus der eine zierliche Antenne ragte.
    »Ein Gerät zur Bodenabtastung«, erklärte Dolan. »Wir haben es uns vom Erdölministerium geliehen. Es hat unter diesem zentralen Schutthaufen einen Hohlraum geortet.« Er deutete auf einen Steinhügel von mehr als sechs Metern Höhe. Man hatte dort ein orangefarbenes Quadrat von drei Metern Seitenlänge aufgesprüht. »Wir werden die Kammer öffnen, den Inhalt herausholen und von hier verschwinden. Sofern Sie sich kooperativ verhalten, werden wir Sie lediglich fesseln, wenn unser Hubschrauber kommt. Bevor Sie wieder in Lhadrung eintreffen, befinde ich mich längst auf dem Heimflug. Alle bleiben am Leben. Sie bekommen Ihre Ruinen zurück.«
    Im hinteren Teil der Gruppe sagte jemand etwas. Es war Gendun.
    »Was gibt’s, alter Mann?« fragte Dolan.
    Lokesh trat vor. »Er hat gesagt, Sie sollten vielleicht lieber das hier an sich nehmen.« Er streckte dem Amerikaner eine kleine tsa-tsa entgegen, ein Abbild des Zukünftigen Buddha. »Er sagt, Sie können es gebrauchen.« Dolan nahm die kleine Figur stirnrunzelnd an.
    »Außerdem«, fuhr Lokesh vollkommen sachlich fort, »wird der Rest der Gottheit, die in Ihnen lebt, Schlimmes erdulden müssen, falls Sie nicht begreifen, was dort vergraben ist. Ein sehr mächtiges Ding.«
    Dolans Augen loderten abermals wütend auf. Er warf die tsatsa gegen einen Felsen, wo sie zerbarst. »Sag ihm, ich begreife genau, was dort ist. Es gibt auf der ganzen Welt nichts Vergleichbares, und es gehört ab jetzt mir, für alle Zeit«, höhnteer. »Und sag ihm, daß kein Mensch auf der Welt so viel über Macht weiß wie ich«, fügte er verächtlich hinzu.
    »Es tut mir leid«, erwiderte Lokesh seufzend.
    Dolan murmelte etwas vor sich hin und stieß den nächstbesten Mann in Richtung des Trümmerhaufens. Es war Ko, und er warf Lokesh einen kurzen fragenden Blick zu, bevor er den ersten Stein wegräumte. Hatte sein Sohn verstanden, daß Lokesh sich nicht entschuldigen, sondern sein Mitgefühl für Dolan ausdrücken wollte? fragte sich Shan.
    Jara und die anderen Hirten schlossen sich Ko an und betrachteten den wohlhabenden Amerikaner neugierig und erwartungsvoll. Nur Gendun verweilte mit traurigem Blick, ließ sich im Schatten einer Mauer nieder und musterte das orangefarbene Quadrat im Schutt.
    Als Shan zu dem Lama ging und sich neben ihn hockte, fing Gendun wieder an, etwas in den Staub zu zeichnen. Im ersten Moment glaubte Shan, es handle sich um eines der alten Symbole, aber dann erkannte er würfelförmige Umrisse, die durch Torbögen verbunden waren. Gendun zeichnete die Gebäude, die hier früher gestanden hatten, und zwar von dem Punkt aus gesehen, an dem er nun saß. Zwei langgestreckte, elegante Häuser, deren Wände sich nach traditioneller tibetischer Bauart im oberen Teil leicht nach innen neigten, standen über den östlichen und westlichen Treppen zum unterirdischen Tempel. Zwischen ihnen erhob sich ein ungewöhnliches Gebilde, das vermutlich noch aus der Zeit stammte, als gompas auch als Festungen gedient hatten, nämlich ein Turm, der doppelt so hoch wie die anderen Bauten war und von dessen Spitze aus man mitten im ummauerten Kloster das gesamte Umland überblicken konnte. An Festtagen hingen heilige Banner oder riesige thangkas von ihm herunter. Vor allem aber dürfte der Turm dazu gedient haben, die unter ihm befindliche heilige Schatzkammer zu bewachen.
    Dolan verfolgte mit kühler Belustigung, wie Lokesh ein Gebet auf ein Stück Papier schrieb und

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