Der verlorene Troll
Trinken dabei.« Gestern hatten sie die kümmerlichen Reste ihres Proviants verspeist: Hundefleisch, Gruethrists Jagdhunde, die gegen Ende der Belagerung geschlachtet worden waren. Vor Hunger fühlte sich Yvons Magen an wie ein harter, kleiner Ball aus ungegerbtem Leder. »Oder habe ich nicht Recht?«
»Nein.« Sie zischte das Wort wie eine Anklage. »Aber sie hätten uns alle verhungern lassen.«
»Dann ist es nur angemessen, dass sie uns nun zu essen geben.« Ja, die Idee gefiel ihm immer besser. Er starrte zu den Soldaten hinunter. Bestimmt hatten sie etwas zu essen dabei, und diesmal würde er es nicht einmal stehlen müssen…
Auf einmal spürte er eine Messerspitze zwischen seinen Rippen. Er erstarrte. »He! Wartet!«
»Warum? Ihr wollt uns verraten.« Ihre Stimme zitterte, doch das Messer nicht. Die Spitze bohrte sich tiefer in seine Seite.
Er sagte nichts und rührte keinen Muskel. Selbst die Zweige an den Bäumen regten sich nicht. Sonnenlicht sickerte zwischen ihnen hindurch wie Wasser, das aus gewölbten Händen floss, und verflüchtigte sich so schnell wieder wie sein bester Plan. Yvon wartete, regungslos, bis er hörte, wie sie Atem holte, um erneut zu sprechen.
Sogleich wirbelte er herum und packte ihre Hand. Sie hielt das Messer mit Daumen und Zeigefinger; die Schneide war dünn und scharf. Er grub seinen Daumen in ihr Handgelenk und verdrehte es. Sie stöhnte auf, ließ die Waffe fallen und schlang den Arm schützend um das Kind in ihrem Tragetuch. Ohne auch nur einen Schritt zurückzuweichen, schaute sie Yvon in die Augen.
»Warum habt Ihr das getan?«, brüllte er.
»Lady Gruethrist hat mich vor Euch gewarnt. Sie sagte, Ihr wärt wankelmütig, so wie jeder Mann, und würdet von Euren Gefühlen beherrscht. Und dann ständig dieses Bauchweh im Wald und Eure Ausreden und die Verzögerungen und dass Ihr vor zwei Jungen Angst hattet… Ihr hättet sie bestimmt ebenfalls getötet… und dann habt Ihr noch diesen armen jungen Ritter… «
»Hört auf.«
»… diesen armen jungen Ritter umgebracht!«
»Hört auf!«
Sie verstummte und versuchte, ihm ihren Arm zu entreißen.
Yvon hielt ihn umklammert, bis seine Knöchel weiß wurden. Er beugte sich dicht zu ihr, als wolle er sie küssen. »Ich bin dazu verpflichtet, Lord Gruethrist zu dienen, so wie seine Heirat ihn verpflichtet, Eurer Herrin zu dienen, und er will sowohl ihren Titel als auch ihren Anspruch auf das Tal gegen die Launen der Kaiserin und Baron Gulufres Streitkräfte verteidigen. Wenn wir im Hochland wieder zu Gruethrist stoßen, werde ich ihm die genaue Anzahl dieser Streitkräfte nennen können und hoffentlich auch Hinweise über ihre Absichten. Und das nur, weil wir heute ein kleines Wagnis eingingen.«
»Vorausgesetzt, er entkommt.«
»Er wird entkommen.«
Wieder zog sie an ihrem Arm. Diesmal ließ er ihn los.
»Wenn Ihr mich verraten solltet«, sagte sie, »oder diesem Kind Schaden zufügt, werde ich zusehen, wie sich Bwnte an Eurem verrottenden Kadaver labt.«
Ihr Misstrauen traf ihn tiefer als ihr kleines Messer es je vermocht hätte. Er zeigte auf die Männer und Tiere, die unter ihnen entlangtrotteten. »Die Männer des Barons wissen nicht, wer wir sind. Soeben ist ihr Oberhirte auf uns gestoßen und hat sich keinen Deut darum geschert. Wir werden uns als Flüchtlinge ausgeben, so wie all die anderen landlosen Frauen… «
»Ich bin nicht landlos.«
Nur weil sie Lady Gruethrist diente; nur weil Lady Gruethrist versprochen hatte, sie für Clayes Pflege mit einem Stück Land zu belohnen.
Sie musterten sich grimmig.
Das Kind zappelte, hob den Kopf und starrte Yvon fragend an. Seine winzige Faust schlug durch die Luft. »Mama!«
Yvon wandte als erster den Blick ab und bückte sich, um ihr Messer aufzuheben. Es war gut ausbalanciert, scharf und leicht zu verstecken. Perfekt, um aus nächster Nähe zuzustechen. Er ließ es durch die Luft fliegen, bis die Klinge auf ihn gerichtet war, und reichte es ihr mit dem Heft voran. »Mylady, ich werde mich um dieses Kind kümmern, als wäre es Euer eigenes, in Eurem eigenen Heim, bis wir es wohlbehalten seiner Mutter oder ihrer Familie übergeben haben.«
Sie nahm das Messer und behielt es noch einen Augenblick lang in der Hand, ehe sie es in das verborgene Futteral zwischen den Falten ihres Rockes gleiten ließ. Dann fuhr sie sich mit dem Handrücken über die trockenen Lippen, warf ihm einen letzten bösen Blick zu und marschierte los.
Er ging schnell voraus. In diesem Moment
Weitere Kostenlose Bücher