Der verlorene Troll
versuchte, in ihre Arme zu klettern. Sie stöhnte vor Schmerz, zuckte zusammen und sackte fast ohnmächtig gegen die Wand.
»Weg mit dir!« Yvon streckte die Hand aus, um Claye wegzustoßen, die Finger halb zur Faust geballt und verkrampft vor Schmerz. Er würde nicht zulassen, dass ihr noch einmal jemand weh tat, nicht einmal das Kind.
Sie richtete sich auf. »Tut… ihm… nicht… weh!«
Die Worte kamen so leise aus ihrem Mund, dass sie fast untergingen, als Clayes Gebrüll anschwoll, schrill und laut, wie ein Fluss in einer Sturmflut. Wieder versuchte er, in ihre Arme zu krabbeln. Yvon streckte die Hand aus, um ihn davon abzuhalten, sanfter diesmal. Doch Claye packte eine Faust voll Haut und Haar und zog sich Hand über Hand an Yvons Arm hinauf, wie ein Mann, der ein Seil erklimmt, bis er Xaragitte am Hals zu fassen bekam und sich an sie klammerte.
Nichts, was Xaragitte tat, konnte Claye trösten. Ihr Gesang und ihr beruhigendes Streicheln zeigten keine Wirkung, auch ihre Brust wollte der Junge nicht haben. Er weinte wie ein verirrtes Kind, verlassen und verängstigt.
Der Regen strömte durch das Dach und durchnässte alles. Yvon konnte nicht mehr unterscheiden, was durch den Regen nass geworden war und was durch Blut. Er lehnte an der Wand und an Xaragitte wie ein Stützpfeiler, der sie beide aufrecht hielt. Stechende Schmerzen quälten ihn. Gerne hätte er seine Haltung ein wenig verändert. Draußen hörte er den Troll wieder gegen seine Brust trommeln. Er kam näher. Yvon schaute auf die sperrangelweit geöffnete Tür und dann zu seinem Schwert, das in einer schlammigen Pfütze auf dem Boden lag. Seine Hand fuhr suchend zu seinem Hals. Er besaß immer noch die zwei Zauberanhänger.
»Mylady«, sagte er sehr leise.
»Es regnet«, murmelte sie und versuchte, Claye zu wiegen. Dann begann sie zu singen, mit pfeifendem Atem, ohne die richtigen Töne zu treffen.
»Der silberne Regen fallt herab
Deine Münzen rasch verprass’
Ehe du sinkst ins nasse Grab
Mein armer Schatz.«
»Mylady, ich werde rasch einen Blick hinauswerfen.«
»Kady war ein Soldat«, sagte sie leise, die Augen ins Nichts gerichtet.
»Ich muss die Tür verrammeln.«
»Er wäre ein Ritter geworden. Lord Gruethrist wollte ihn zum Ritter schlagen.« Sie schaute zu Claye, der mit geschlossenen Augen an seinem Daumen lutschte. »Du bist jetzt Lord Gruethrist. Wirst du ihn zum Ritter schlagen? Sir Kady, der hübsche Sohn des Küfners.«
Ihre Stimme klang schwach. Ein Zittern quälte ihren Körper. Yvon legte eine Hand auf ihre Schulter, um sie zu beruhigen, aber sie schreckte vor der Berührung zurück.
»Ich werde jetzt aufstehen und nach draußen gehen, dann bin ich gleich wieder bei Euch«, sagte er.
»Der Tod folgt mir, genau wie Bwnte«, sagte sie. »Am besten, Ihr vergrabt mich tief in der Erde, damit neues Leben aus mir sprießen kann wie aus einem Samen.«
»Ihr müsst noch nicht begraben werden«, sagte Yvon und wandte sich ab. Er biss die Zähne zusammen und schluckte die Schmerzen hinunter, während er sein Schwert aufhob, es aus der Hülle zog und das Wasser abstreifte.
Xaragittes Kopf neigte sich zur Seite, in seine Richtung. »Wir werden alle sterben. Auch Ihr, selbst Ihr.« Sie begann zu singen. »Auch Ihr, selbst Ihr. Auch Ihr, selbst Ihr.«
Ein Schauer fuhr durch ihn hindurch, als er ihre Stimme hörte. Er schüttelte den Kopf und stolperte zur Tür. Dort blieb er stehen und stieß mit dem Fuß den Ast beiseite, mit dem er die Tür versperrt hatte. Ein winziger Stock wie dieser würde keine zwei Sekunden gegen einen Troll bestehen können. Er brauchte einen dickeren Ast.
Die kahlen Umrisse der Bäume durchstachen den dunklen, wolkenverhangenen Himmel wie eine Dornenhecke. Der Regen war versiegt, bis auf einige vereinzelte Tropfen.
Das Schwert erhoben, trat Yvon ins Freie. Auf dem Bergkamm war keine Spur mehr von dem Troll zu sehen. Ein vorsichtiger Schritt und noch einer, dann rannte er weg von der Tür und wirbelte blitzschnell herum, falls der Troll hinter der Hütte hervorspringen sollte. Aber da war nichts.
Er blieb stehen und zog die Ketten mit den beiden letzten magischen Ampullen hervor, damit sie über seinem Hemd lagen.
Er würde sie gegen den Troll verwenden, falls dieser ihm zu nahe kommen sollte.
Immer ein Auge auf die Bergkuppe vor sich gerichtet, suchte er den Boden nach einem Ast ab, der groß genug war, um damit die Tür zu blockieren. Als er einen gefunden hatte, dick wie der Unterarm eines
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