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Der verlorene Troll

Der verlorene Troll

Titel: Der verlorene Troll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Coleman Finlay
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Schildkrötenschale. Vielleicht sind sie abgehauen. Und vielleicht finden wir dort etwas zu essen.«
    Er klatschte in die Hände. Das Geräusch hallte von den Bergwänden wider und schreckte die Vögel in den Bäumen auf. »Gut«, sagte er. »Du brauchst nur etwas zu essen, dann wirst du das Kind schon weglegen.«
    Sie wanderten den vertrauten Hang hinunter. Auf der Suche nach neuen Nahrungsquellen nahmen sie jede Nacht einen anderen Pfad, aber die Zahl der Wege war begrenzt. Ambrosius drehte Baumstämme um und brach Stücke aus Baumstümpfen, doch es waren dieselben Stämme und Stümpfe, die er bereits ein Dutzend Mal untersucht hatte. Seit zwei Tagen hatten sie nicht einmal das Aas eines toten Spatzes gesehen, und es war schon eine Woche her, seit sie das tote Reh gefunden hatten, ehe die wilden Hunde es sich holen konnten. Ambrosius packte die unteren Zweige der Bäume und streifte die Rinde mit den Zähnen ab. Der Regen hatte sie ein wenig durchnässt, und so war sie nicht ganz so ekelerregend trocken wie sonst. Der Geruch verlockte Windy, aber nicht genug, um tatsächlich etwas zu essen.
    Sie erreichten die große Wiese am Teich, Ambrosius watete ins Wasser und stillte seinen Durst. Auch Windys Kehle war furchtbar ausgedörrt, obwohl sie in der Höhle noch Wassertropfen von der Decke geleckt hatte. Sie folgte ihm und bückte sich, um zu trinken, stets bemüht, ihre Tochter nicht ins Wasser zu tauchen.
    Ambrosius platschte zu ihr herüber und rieb ihr mit den Händen über den Hintern.
    »Ssppppt!« Wasser sprühte aus ihrem Mund. »Hör auf damit!«
    »Jetzt kann uns niemand mehr unterbrechen«, sagte er mit einem anzüglichen Grinsen.
    Sie beachtete ihn nicht und beugte sich zum Wasser. Da schlang er den Arm um sie und drückte ihre Brust.
    »Autsch!« Windy hüpfte wild spritzend davon, zeigte die Zähne und versetzte ihm einen heftigen Schlag mit dem Handrücken.
    »He!«, heulte er. »Was hab ich denn getan?«
    »Das tut mir weh.« Sie watete spritzend aus dem Wasser und machte sich ohne ihn auf den Weg durch den Wald, auf drei Gliedmaßen humpelnd. Ihre Brüste schmerzten wie ein weher Zahn. Die ganze Nacht über war Milch aus ihnen getropft, und sie wusste nicht, was sie nun tun sollte. Vermutlich würden sie in ein paar Tagen austrocknen, aber im Augenblick ginge sie lieber durchs Feuer als sich von Ambrosius dort anfassen zu lassen.
    Ambrosius folgte ihr eilig. Sie überquerten die Anhöhe mit den Kastanienbäumen, wo sie in den meisten Nächten saßen. Wenn die Kastanien vom Baum fielen, würde ihnen das Tal eine Menge Nahrung bieten. Aber bis dahin dauerte es noch Monate.
    Der regenschwere Wind brachte neue Gerüche. Drüben beim Fluss, in Richtung Sonnenuntergang, meinte sie, etwas Totes zu riechen, vielleicht ein Tier, das in der Regenflut des vergangenen Tages ertrunken war. Auch wenn es nur etwas Kleines sein sollte, böte es dennoch eine gute Mahlzeit, wäre sie nur hungrig genug, danach zu suchen. Sie wandte den Kopf zu der kleinen Bodensenke, wo die Schildkrötenschale stand, und witterte den schwachen Geruch des Löwen, einer Ziege und von etwas anderem…
    Ambrosius hatte das gleiche gerochen. »Potzdonner!«, rief er, vollführte mit den Händen eine begeisterte Schaufelbewegung und rannte den Berg hinunter. »Frisches, fauliges Fleisch!«
    »Sei vorsichtig!«, rief sie. Das Kind fest an sich gedrückt, rannte sie hinter Ambrosius her. Er blieb vor dem Schildkrötenpanzer stehen und wühlte an einer Stelle, wo offenbar Blut vergossen worden war, mit der Nase im Dreck. Windy blieb neben ihm, und nun erst hörten ihre Ohren, die besser waren als die eines durchschnittlichen Trolls und mit Sicherheit um einiges besser als die von Ambrosius, das schrille Weinen.
    Als Ambrosius die Menschenhöhle betreten wollte, stellte sie ihm ein Bein und packte ihn an den Handgelenken, damit er sich nicht abfangen konnte. Und während er unter Protestgeheul zu Boden plumpste, eilte sie als Erste hinein.
    Der Geruch der beiden Toten, Menschen, ein Männchen und ein Weibchen, schlug ihr zuerst entgegen, aber gleichzeitig durchdrang auch ein Gestank von Kinderkot und Urin den Raum. Windy rümpfte die Nase und schaute suchend hin und her, bis sie die Leiche der Frau in der Ecke entdeckte. An ihren langen, roten Haaren kaute ein weinender Säugling, die Augen geschlossen und so müde, dass er kaum noch aufrecht sitzen konnte.
    Ambrosius kam hinter ihr durch die Türöffnung gestürmt. »He, langsam! Lass mir auch

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