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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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der offenbar sein Gran neurologisches Wissen beitragen wollte, »belegen, daß diese Krankheit in der Regel mit einer gewissen Funktionsstörung des Gehirns einhergeht, die sich im linken Schläfenlappen lokalisieren läßt.«
    »Wollen Sie damit sagen, er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen?« fragte Ona erschrocken.
    »Nein, keineswegs«, widersprach der Neurologe. »Was ich sagen will, ist, daß auch ohne erkennbare äußere Einwirkung ein oder mehrere Hirnareale nicht reagieren, wie sie sollten, oder zumindest nicht so, wie wir es von ihnen erwarten. Das menschliche Gehirn besteht aus vielen verschiedenen Arealen, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen: Die einen kontrollieren die Bewegung, andere führen Berechnungen durch, wieder andere steuern die Gefühle. Zu diesem Zweck nutzen diese Bereiche geringe elektrische Ströme und stark spezialisierte chemische Botenstoffe. Die geringste Störung eines dieser Botenstoffe genügt, um die Tätigkeit der betroffenen Hirnareale grundlegend zu verändern und damit die Art, wie wir denken, fühlen oder uns verhalten. Im Fall des Cotardsyndroms weisen tomographische Untersuchungen auf eine Störung der Funktion im linken Schläfenlappen hin ... hier.« Er legte die Hand hinter sein linkes Ohr, nicht sehr weit oben, nicht sehr weit unten und auch nicht sehr weit hinten.
    »Wie bei einem Kurzschluß im Computer, oder?«
    Die Mienen der beiden Ärzte verdüsterten sich schlagartig, offenbar hatte ich ein Reizthema angeschnitten.
    »Nun, ja . «, räumte Dr. Hernández schließlich ein, »in jüngster Zeit sind Vergleiche zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern äußerst beliebt, weil beide in, sagen wir, ähnlicher Weise arbeiten. Aber sie sind nicht gleich: Ein Computer hat kein Bewußtsein und auch keine Gefühle. Das zu ignorieren ist der schwere Fehler, zu dem uns die Neurologie verleitet.«
    Dr. Llor zuckte nicht mit der Wimper. »Die Herangehensweise der Psychiatrie ist eine vollkommen andere. Es kann zwar kein Zweifel bestehen, daß es beim Cotardsyndrom eine organische Komponente gibt, doch es steht ebenfalls fest, daß die Symptome fast vollständig denen einer schweren Depression entsprechen. Außerdem konnte im Fall Ihres Bruders eine Störung des linken Schläfenlappens nicht nachgewiesen werden.«
    »Da aber ich für das Wohl des Patienten verantwortlich bin«, sagte Llor, und diesmal war es Hernández, der keine Miene verzog, »habe ich eine Akutbehandlung mit Neuroleptika angeordnet, mit Promazinhydrochlorid und Thioridazin. Ich hoffe, den Patienten in weniger als vierzehn Tagen entlassen zu können.«
    »Es gibt da allerdings noch ein weiteres Problem«, erinnerte ihn der Psychiater. »Neben dem Cotardsyndrom, das sicher gravierender ist, zeigt Señor Cornwall ebenfalls deutliche Anzeichen für eine sogenannte Agnosie.«
    Ich spürte, daß etwas in mir rebellierte. Bis eben hatte ich mir einreden können, es handele sich bei all dem um etwas Vorübergehendes, Daniel leide an einem »Syndrom«, für das es Heilung gab, und würde, wäre diese Sache erst behoben, wieder ganz der alte sein. Daß nun noch andere Krankheiten dazukommen sollten, versetzte mir einen Stich. Ich warf einen Blick auf Ona, deren Miene verriet, daß es ihr ähnlich ging. Der kleine Dani war endlich, in seine blaue Decke gehüllt, auf ihrem Arm fest eingeschlafen. Und das war ein Glück, denn in diesem Moment begann mein Handy in seiner kleinen Faust die Melodie zu spielen, die mir einen Anruf von Jabba meldete. Erleichtert sah ich, daß Dani sich nicht rührte. Er stieß nur einen tiefen Seufzer aus, als Ona ihm mit einiger Mühe den Apparat entwand.
    Jabba und Proxi hatten in der Notaufnahme nach Daniel gefragt und es so bis in das Wartezimmer der Abteilung für Neurologie geschafft. Nachdem ich das kurze Gespräch beendet hatte, sagte ich Ona, daß die beiden draußen warteten, und sie stand vorsichtig auf und verließ das Büro.
    »Warten wir auf Señor Cornwalls Frau, oder sollen wir fortfahren?« wollte Dr. Llor mit Ungeduld in der Stimme wissen. Ich mußte unwillkürlich an etwas denken, das ich einmal gelesen hatte: Im alten China wurden die Ärzte nur bezahlt, wenn sie den Patienten retteten. Andernfalls bekamen sie entweder nichts oder wurden von den Angehörigen umgebracht.
    »Kommen wir zum Ende«, sagte ich. Wie weise die alten Chinesen doch gewesen waren. »Ich rede dann später mit meiner Schwägerin.«
    Der kleine Dr. Hernández ergriff das Wort: »Neben dem

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