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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Cotardsyndrom leidet Ihr Bruder auch noch an einer recht ausgeprägten Agnosie.« Er schob die Brille bis zur Nasenwurzel hoch und blickte unruhig zu dem Neurologen hinüber. »Wie Ihnen Miquel ... Dr. Llor sicher näher erläutern kann, ist eine Agnosie ein wesentlich verbreiteteres Krankheitsbild. Es tritt hauptsächlich bei Patienten auf, bei denen durch Hirnblutungen oder Traumata ein Teil des Gehirns zerstört ist. Wie Sie wissen, ist das bei Ihrem Bruder nicht der Fall und für gewöhnlich auch nicht bei Menschen, die am Cotardsyndrom leiden. Dennoch ist Señor Cornwall nicht in der Lage, Gegenstände oder Personen zu erkennen. Sie müssen sich das so vorstellen: Ihr Bruder, der von sich behauptet, tot zu sein, lebt im Moment in einer Welt, die von sonderbaren Dingen bevölkert ist, die sich in absurder Weise bewegen und merkwürdige Geräusche von sich geben. Würden Sie ihm beispielsweise eine Katze zeigen, wüßte er nicht, was das ist. Er wüßte auch nicht, daß es sich dabei um ein Tier handelt, weil er nicht weiß, was ein Tier ist.«
    Mir brummte der Schädel, und ich preßte verzweifelt die Handballen an die Schläfen.
    »Er könnte auch Sie nicht erkennen«, sprach Dr. Hernández weiter, »und auch seine Frau nicht. Für Ihren Bruder sind alle Gesichter flache Ovale mit zwei schwarzen Flecken an der Stelle, wo die Augen sein sollten.«
    »Das Gravierende an einer Agnosie«, schaltete sich Dr. Llor ein und rieb sich dabei die Hände, »ist, daß sie nicht behandelt oder geheilt werden kann, weil sie durch eine Blutung oder eine Verletzung hervorgerufen wird, bei der ein Teil der Hirnsubstanz verloren geht. Allerdings .« Er ließ das Wort in der Luft hängen. Es verströmte Hoffnung. ». zeigen die Tomographien, die wir von Ihrem Bruder gemacht haben, daß sein Gehirn vollkommen unverletzt ist.«
    »Wie ich bereits sagte: Es ist nicht einmal eine Störung der Schläfenlappenfunktion erkennbar«, bestätigte Hernández und deutete zum erstenmal ein Lächeln an. »Ihr Bruder weist nur die Symptome auf, nicht den entsprechenden organischen Befund.«
    Ich sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Und wären Sie vielleicht so gut, mir zu sagen, was es für einen Unterschied macht, ob man zwei und zwei addiert oder nur so tut, als addiere man zwei und zwei? Mein Bruder war heute morgen völlig normal, er ist zur Arbeit in die Uni gefahren und mittags nach Hause gekommen, um mit Frau und Sohn zu essen. Und jetzt liegt er hier im Krankenhaus und weist irgendwelche Symptome auf, die ein Cotardsyndrom und eine Agnosie simulieren.« Ich hielt die Luft an, kurz davor, einen Schwall wüster Beschimpfungen vom Stapel zu lassen. »Also gut, in Ordnung! Ich weiß, Sie tun, was Sie können, wollen wir es vorerst dabei belassen. Sagen Sie mir nur, ob Daniel wieder gesund wird.«
    Von meinem jähen Wutausbruch auf dem falschen Fuß erwischt, meinte der alte Llor wohl, er müsse mich auf seine Seite ziehen, als wären wir Kollegen oder alte Freunde: »Sehen Sie, grundsätzlich verbrennen wir Ärzte uns nicht gern die Finger, verstehen Sie? Wir wecken am Anfang lieber nicht zu hohe Erwartungen, für den Fall, daß sich die Dinge nicht wie erhofft entwickeln. Der Kranke wird wieder gesund? Wunderbar, wir sind die Größten! Er wird nicht wieder gesund? Nun, wir haben von Anfang an gewarnt, daß das passieren kann.« Er sah mich mitleidig an, schob, die Hände gegen die Tischkante gedrückt, geräuschvoll den Stuhl zurück und stand auf. »Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Señor Queralt: Wir haben nicht die leiseste Ahnung, was mit Ihrem Bruder los ist.«
    Manchmal, wenn du nicht im geringsten damit rechnest, daß etwas passieren könnte, das dein Leben aus der Bahn wirft, spielt dir das Schicksal einen Streich und erwischt dich eiskalt. Dann siehst du dich verdattert um und fragst dich, woher der Schlag kam und warum der Boden unter deinen Füßen plötzlich nachgibt. Du würdest alles dafür geben, das Geschehene rückgängig zu machen, sehnst dich nach deinem Alltag, dem normalen Trott, willst, daß alles wieder wird wie zuvor . Aber dieses Zuvor gehört zu einem anderen Leben, zu einem Leben, in das es aus unerfindlichen Gründen kein Zurück gibt.
    Die Nacht verbrachten Mariona und ich bei Daniel im Krankenhaus. Das Zimmer war sehr klein, und für Besuch stand nur ein Klappsessel darin, der obendrein so abgenutzt war, daß die Schaumstoffüllung aus etlichen Rissen im Bezug quoll. Doch es war das beste Zimmer

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