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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Anordnung und Abfolge zu beachten. Genauso war es mit den großen Feldern beim zweiten Kopf. Man konnte das Rätsel durch Betrachtung lösen. Man mußte nur sorgfältig die Verteilung der Figuren auf den beiden Linien analysieren, die das X bildeten. Hier haben wir dagegen einen vollständigen Text, der sich mit einer Warnung an Diebe wendet, die das Aymara lesen können. Wenn, wie Sie gesagt haben, Marc, der Inhalt jeden träfe, der die richtigen Laute aussprechen und verstehen kann, wären die Yatiri und ihre Capacas ja selbst dem Fluch zum Opfer gefallen. Glauben Sie mir. Diese seltsame Macht funktioniert nicht auf diese Weise. Sie ist so perfekt, daß sie den spezifischen Empfänger einer Botschaft genau unterscheiden kann. Deshalb meine ich, Sie können mich beruhigt den Text lesen lassen. Natürlich wird er uns nicht erklären, wie man die Tür öffnet. Aber möglicherweise enthält er etwas Interessantes.« Sie seufzte tief.
    »Jedenfalls wäre das Schlimmste, was passieren könnte, daß Sie recht hätten. Dann würde ich von den gleichen Symptomen befallen wie Daniel.« An dieser Stelle lachte sie überraschend auf. »Dann suchen Sie bitte intensiv nach einem Gegenmittel für Ihren Bruder und mich, Señor Queralt.«
    Der lange Vortrag hatte uns verwirrt. Was konnten wir ihr schon entgegenhalten? Wir sahen einander zögernd an, und nachdem Jabba mit einem Kopfnicken seine Zustimmung gegeben hatte, holte ich das Foto des in die Tür eingravierten Tocapu-Feldes auf den Bildschirm zurück. Ich reichte den Laptop der Doctora.
    Ohne zu zögern, nahm sie die Übersetzung wieder auf: »Mal sehen: >Überall sterben die anderen für dich, und, o weh, auch die Welt wird für dich nicht mehr sichtbar sein. Das ist das Gesetz, das mit einem Schlüssel verschlossen ist, das Gesetz, das gerecht ist. Du darfst den Reisenden nicht stören. Du hast kein Recht, ihn zu sehen. Du bist schon nicht mehr hier, nicht wahr? Du bittest schon flehentlich darum, man möge dich begraben, und du erkennst weder deine Verwandten noch deine Freunde. Mögen diese Worte unseren verlorenen Ursprung und unser Schicksal schützen.«
    Echt stark, dachte ich und beobachtete die Doctora aufmerksam -Jabba und Proxi taten das gleiche. Marta Torrent stand einfach da, glücklich und zufrieden. Ihr war nichts passiert.
    Triumphierend sah sie uns an. »Genial, finden Sie nicht? Mir geht es gut. Die Macht hat erraten, daß ich nicht vorhabe, etwas zu stehlen. Vielleicht spielt es aber auch eine Rolle, daß ich weiß, daß ich nicht vorhabe, etwas zu stehlen, und deshalb hat mich der Fluch nicht getroffen.«
    Weshalb war sie dann hier? Wir waren doch alle bis zu dieser Tür vorgedrungen, weil wir uns etwas aneignen wollten. Etwas, das nicht uns gehörte. Und wir wollten keineswegs einer notleidenden Menschheit helfen, sondern nur einen Dieb retten. Einen jener Diebe, gegen die der Fluch schützte. Obwohl ich es gewohnt war, die Logik kompliziertester Codes nachzuvollziehen, war ich verblüfft über soviel Mehrdeutigkeit. Dafür gab es nur eine Erklärung: Das Bewußtsein des einzelnen bestimmte die Wirkung der Worte, und damit wurden alle übrigen möglichen Konsequenzen bedeutungslos. Was allerdings damit auch nichtig geworden zu sein schien, war mein Argwohn gegen die Doctora. Daß sie frisch und munter vor uns stand, bewies, daß ihre Absicht über jeden Verdacht erhaben war. Von wegen Weltherrschaft. Von wegen die Böse wie im Comic. Wenn skrupelloser Diebstahl, pures Machtstreben ihre Absicht gewesen wäre, hätte es ihr wie Daniel ergehen müssen. Er hatte leider Martas Unterlagen aus bewußt egoistischen Motiven gestohlen, und deshalb war es ihm so ergangen. Auch wenn er bestimmt nicht im Traum gedacht hätte, daß der Fluch, den er wohl auf irgendeinem Stoff entdeckt hatte, ausgerechnet auf der Tür zur Kammer des Reisenden stand. Wer wohl ursprünglich das Muster kopiert hatte, und woher dieser jemand es hatte? Wie dem auch sei: Das eigene schlechte Gewissen hatte meinem Bruder diesen schrecklichen Streich gespielt.
    »Nun gut . «, grummelte Jabba, der verstohlen einen Blick auf die riesige polierte Steinplatte warf, »unser Problem bleibt, daß wir noch immer nicht wissen, wie wir sie öffnen sollen.« »Ich weiß es«, verkündete Proxi ganz unerwartet. Sie warf beide Arme in die Luft und schwenkte sie triumphierend hin und her.
    »Du weißt es?« fragte ich verdattert.
    »Ach was, Quatsch«, rief Jabba resigniert. »Sie nimmt uns auf den Arm.

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