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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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blieb eine Landschaft, die sich ausschließlich aus Grüntönen zusammensetzte. Der Boden war von immer dichterem Gestrüpp überwuchert, das von Stacheln starrte, die uns Haut und Hosen zerrissen, bis der windabweisende Stoff und das schweißabsorbierende Futter in jämmerlichen Fetzen an uns herunterhingen. Wir wickelten uns Tücher um die Beine, um uns nicht zu verletzen, doch vergeblich: Die spitzen Dornen dieser Pflanzen waren rasiermesserscharf. In dieser Natur waren Besucher nicht willkommen, dachte ich, wenn man menschliche Gesichtspunkte überhaupt auf diese so andersartige Gegend übertragen konnte. Selbst der Geruch änderte sich, alles muffelte modrig und verfault.
    Am Sonntag wurde es noch schlimmer. Die Bäume drängten sich immer dichter zusammen, als wollten sie uns den Weg versperren. Wir hatten alle Kleidung übereinandergezogen, die wir dabeihatten, ja selbst die Handtücher hatten wir uns um Gesicht und Arme, vor allem aber um die Beine gewickelt.
    Doch es war unmöglich, sich nicht zu verletzen. Dieser Wald schien uns regelrecht vertreiben zu wollen, uns zumindest zu warnen, wir sollten besser umdrehen und dorthin zurückkehren, wo wir hergekommen waren.
    Als wir abends um das Feuer saßen, waren wir alle mit kleinen Flecken von Wundsalbe übersät, wie fremdartige Tiere mit gescheckter Haut. Wir unterhielten uns darüber, wie beschwerlich es für die Yatiri gewesen sein mußte, sich mit ihrem gesamten Hab und Gut und den Familien im Schlepptau durch dieses Dickicht zu kämpfen. Eine solche Heldentat war kaum vorstellbar. Keiner konnte es sich erklären.
    »Vielleicht haben wir uns ja verlaufen«, argwöhnte Marc und stocherte mit einem grünen Ast in der Glut. Es war harte Arbeit gewesen, dieses kleine Fleckchen Erde vom Unterholz zu befreien und von allen möglichen Insekten und Schlangen zu säubern.
    »Ich versichere dir, daß wir auf dem richtigen Weg sind«, sagte ich nach einem Blick auf das GPS. »Wir sind nicht von der auf der Karte aus der Pyramide des Reisenden eingezeichneten Route abgewichen.«
    Efrain, der noch seinen Teller mit Abendessensresten - Reis mit Dosengemüse - in Händen hielt, grinste breit. »Ist euch eigentlich klar, daß wir morgen oder übermorgen auf sie stoßen müssen?«
    Auf allen Gesichtern zeigte sich so etwas wie Genugtuung.
    »Könnten sie denn eine Stadt wie Taipikala mitten in einer Gegend wie dieser erbaut haben?« fragte Gertrude mit leuchtenden Augen.
    »Ich kann es kaum erwarten, das herauszufinden.« Marta ließ sich bequem auf ihren Rucksack zurücksinken. »Wenn, dann muß das ein überwältigender Ort sein ... und voller Leben«, sagte sie mit einer gewissen Euphorie. »Vor allem voller Leben. Ich glaube, das wäre die größte Erfüllung für mich, ein bewohntes Tiahuanaco zu betreten, strotzend vor Betriebsamkeit. Was meinst du, Efrain?«
    »Ich weiß nicht ...«, sagte er mit einem jungenhaften Grinsen. »Ja, doch, ich glaube, ich würde mich wie ein König fühlen. Als erster Archäologe die Gelegenheit zu einer solchen Zeitreise zu haben! Ein lebendiges Tiahuanaco ... Ehrlich, ich weiß es nicht. Das übersteigt meine Vorstellungskraft.«
    »Ich will ja kein Spielverderber sein«, unterbrach ihn Lola, während sie sich die Stiefel aufschnürte, »aber habt ihr euch überlegt, wie sie bis zu hundert Tonnen schwere Steine hierhergeschleppt haben sollen? Nichts für ungut, aber ich bezweifle doch stark, daß es in dieser Region Andesitsteinbrüche gibt.«
    »Die gibt es auch nicht in der Nähe von Tiahuanaco«, wandte Marta ein. »Auch dorthin mußten sie die Steine von weit her heranschaffen.«
    »Ja, gut, aber durch den Dschungel?« beharrte meine Freundin trotzig. »Und die Konquistadoren? Irgend jemand müßte es doch bemerkt haben, wenn solch kolossale Felsbrocken in den Dschungel geschleppt worden wären. Noch dazu in eine so abgelegene Gegend.«
    »Einer meiner Kollegen«, sagte Efrain, »ein namhafter bolivianischer Archäologe, hat eine sehr gute Theorie aufgestellt, wie die Bewohner von Tiahuanaco diese gigantischen Steine bewegt haben könnten. Seinen Berechnungen zufolge wären zweitau-sendsechshundertundzwanzig Arbeiter nötig, um einen Andesitbrocken von zehn Tonnen mittels langer Lederschnüre aus ich weiß nicht mehr wie vielen Vicuhahäuten über einen mit mehreren Millionen Quadratmetern Schotter bedeckten Boden zu schleifen.«
    »Ah, alles klar!« Marc stieß einen übertriebenen Seufzer der Erleichterung aus, als er diese

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